Gerade das Kampfsystem und das Schadenssystem stellt ja eine Lösung von gekoppelten Fragestellungen dar. Eine von VIELEN möglichen Lösungen.
Die Fragen sind:
Habe ich mit meinem Angriff getroffen?
Habe ich einen gegnerischen Angriff abwehren können?
Wenn ich getroffen habe, was für eine Wirkung (Schaden) macht mein Treffer?
Wenn ich getroffen wurde, was für Auswirkungen hat der erlittene Schaden auf mich?
Die Lösungen können kaum unterschiedlicher sein.
Es gibt "Ein-Wurf-Mechaniken", bei denn ein Würfelpool oder auch nur ein einziger Würfel herangezogen wird, Die einzelnen Aspekte zur Treffer-Chance, zur Umgehung/Durchdringung von Panzerung, zu Nehmerqualitäten des Getroffenen, usw. alle einberechnet werden, und nach genau EINEM Wurf steht dann fest, ob getroffen wurde und wo jeweils wieviel Schaden verursacht wurde. (Z.B. One-Roll-Engine in Reign)
Das ist eine schnelle Mechanik, bei der es auch nicht einmal an Taktikmöglichkeiten gebrechen muß, da die taktischen Alternativen ja vorab einberechnet wurden, bevor der Wurf erfolgte.
Es gibt die "Wurf-und-Gegenwurf-Mechanik", bei der Angriff, Waffeneigenschaften, Schaden in EINEM Angriffswurf zusammengefaßt werden, und bei der Verteidigung, Rüstung, Ausweichen, Nehmerqualitäten in EINEM Verteidigungswurf zusammengefaßt werden. (Z.B. Dungeon Slayers)
Das ist auch eine schnelle Methode, die aber je nach der SPANNE möglicher Würfelergebnisse mehr oder weniger eingeschränkte Zahlenwerte bei den beteiligten Größen wie Schaden, Waffeneigenschaften, Rüstungen, usw. bietet. So ist in Dungeon Slayers eine feinere Auflösung von Waffen- oder Rüstungseigenschaften nicht möglich, da die Spanne eines W20-Wurfes eine "Grund-Granularität" vorgibt. Bei einem W%-Wurf, der gleichzeitig auch den Schaden angibt, kann man aufgrund der größeren Spanne deutlich feiner Abstufungen bei den Waffen und Rüstungen und deren Eigenschaften modellieren.
Um die Spanne der Waffen-Effekte und Rüstungs-Effekte von der Spanne der Handlungsabwicklungs-Methode zu ENTKOPPELN verwenden viele Regelsysteme einen separaten SCHADENSWURF.
So kann man ein Handlung z.B. mit W% in Wurf- und Gegenwurf entscheiden, für den Schaden dann aber je nach Waffe und vorhandener Rüstung von 1W2, 1W3, 1W4 usw. bis mehrere W20 inklusive Zuschläge oder Abzüge als vom Angriffs-Würfelsystem entkoppelter Spanne verwenden. - Hier, z.B. in RuneQuest unterschiedlicher Versionen, wird trotzdem der Angriffsqualität über besondere Erfolge und kritische Erfolge, welche sich auf den Schadenswurf mit anderen Würfeln auswirken, Rechnung getragen.
Diese Entkopplung stellt es den Regel-Entwicklern freier Waffen und Rüstungen separat von der Erfolgsermittlung zu entwerfen und abzustimmen. Und sie entkoppelt auch die NEHMERQUALITÄTEN, also die Lebenspunkte usw. von der Spanne der Handlungsabwicklungs-Würfelmechanik.
Man muß sich bei einem System, das viele separate Parameter in EINEN Wurf integriert - Angriff, Verteidungsumgehung (z.B. durch festen Paradewert/Zielwert), Rüstungsumgehung, Rüstungsdurchdringung, Schadensarten, Schadenswirkung, körperliche Nehmereigenschaften des Getroffenen, usw. mal vor Augen halten, daß diese dann ALLE GEKOPPELT sind!
Dreht man etwas an der Funktion der Rüstungen, dann wirkt es sich komplett auf alle gekoppelten Bereiche aus. Ändert man die Ermittlung und die Spanne der Lebenspunkte, dann wirkt es sich auf alle gekoppelten Bereiche aus.
Man kann also nicht mehr separat über Attribute diskutieren, ohne gleich auch über den Handlungsabwicklungsmechanismus, dessen maximale Spannen an Zahlenwerten, an Erfolgen, über die Bonus-Spannen von Waffen und Rüstungen, usw. zu sprechen. - Alles, was in EINEN Wurf gezogen wird, ist GEKOPPELT.
Um hier maximale Entkopplung zu erzielen, kann man auch versuchen die einzelnen Bereiche zu trennen. - Treffen wird über die Handlungsabwicklung eines Trefferwurfes bestimmt. Verteidigung dagegen über Ausweichen oder Parieren als aktiver Wurf oder als passive Verteidigung oder als wie auch immer geartete Kombination beider Möglichkeiten. Ein erfolger Treffer muß eine Rüstung entweder umgehen oder durchdringen. Beim Umgehen wirkt die Rüstung überhaupt nicht, dafür ist es schwieriger genau die ungeschützte Blöße zu treffen, beim Durchdringen hat eine Rüstung je nach Art der Waffe von keinem Effekt bis maximalem Schutz sehr unterschiedliche Auswirkungen. Es könnte alles gestoppt werden, oder nur ein Teil, oder - wie bei einem Kettenhemd mit Polsterung - es kommt ein Teil überhaupt nicht durch (der Schnittschaden), sondern nur der Anteil eines anderen Schadenstypus, gegen den die Rüstung nicht so gut schützt (Wuchtschaden). Das, was die Rüstung durchdringt, kann je nach Modellierung der Charaktergesundheit und -funktionsfähigkeit dann auch noch Unterschiede abhängig von Trefferzonen, Art des Schadens, usw. haben. Ein Bauchschuß mit einem Pfeil macht einen Charakter so gut wie nie sofort kampfunfähig, doch führt solch eine Verletzung wegen des durchtrennten Darms nach wenigen Tagen so gut wie immer zum Tode. Ein zertrümmertes Knie macht einen Charakter so gut wie immer sofort kampfunfähig, doch stirbt ein Charakter - wenn sich die Wunde nicht entzündet - so gut wie nie daran. Ein offener Schnitt mag kaum die Kampffähigkeit beeinträchtigen, doch infiziert sich solch eine Wunde so leicht, daß oft nach dem Kampf eine Amputation notwendig wird (da gibt es ganz tragische Schilderungen, wie leicht eine Verletzung sein konnte, die dann doch Amputationen des gesamten Beins oder Arms erfordert hat).
Man kann also jeden einzelnen Schritt separat modellieren und mit eigenen Würfen versehen:
Initiativewurf (um das rechte Zeitfenster zu erlangen)
Manöverwurf (um eine gute Position zu erlangen)
Trefferwurf (um den Gegner zu treffen)
Verteidigungswurf (um den Treffer zu vermeiden)
Trefferlokationswurf (um den Ort des Treffers zu bestimmen)
Penetrationswurf (um die Rüstung zu durchdringen)
Widerstandswurf (der Rüstung, um das Durchdringen zu vermeiden)
Schadenswurf (je nach Schadensart)
Widerstandswurf (des Charakters, je nach Schadensart)
Schockwurf (um trotz Treffer noch kampffähig zu bleiben)
Widerstandswurf (gegen mögliche Infektionen durch die Wunde)
usw.
Da geht eine ganze Menge - nur ist das in der Spielpraxis einfach oft ZU UMSTÄNDLICH und damit auch oft langweilig.
Splittermond hat bislang eine ENTKOPPLUNG von Treffen und Schaden mit "Übertrag" durch den Schadensbonus bei Erfolgsgraden als Methode umgesetzt. Treffen geht aktiv gegen passiv, ist also recht schnell bestimmt. Trefferlokationen, gezielte Treffer usw. gibt zumindest im Schnellstarter nicht. Schaden wird je nach Waffenart bestimmt, Schadensarten werden aber nicht wirklich unterschieden und auch Schadensart vs. Rüstungsart je nach Lokation ist kein Thema.
Da sind jede Menge KOMPROMISSE gemacht worden. Viele aus Gründen der Spielbarkeit, der leichteren Handhabung. Dabei bleibt oft die Plausibilität auf der Strecke, aber auch manchmal die Spieler-Teilhabe, etwas aktiv beeinflussen zu können, bevor am Spielercharakter Fakten geschaffen werden (aktive Parade z.B.).
Die Waffenwerte, um die es in diesem Thread geht, sind somit aber an folgende Elemente gekoppelt:
Waffenart (schwer, leicht, langsam, schnell) - da steckt der "Damage per Tick"-Balance-Wert drin, denn keine Waffe, die beim Damage-per-Tick schlecht abschneidet, wird einer besseren Alternative vorgezogen werden, somit kann man derartige Waffen, die durchweg einfach schlechter sind, gleich weglassen (wurde ja hier auch schon oft und ausführlich genug dargelegt und kann ich nur so unterstützen).
Rüstungs-Schadensreduktion - Rüstungen sollen ja, anders als im Schnellstarter, auch Schaden reduzieren. Die Kopplung ist offensichtlich: ist die Spanne, um die Rüstungen die Schadenspunkte reduzieren, zu gering verglichen mit dem ausgeteilten Schaden, dann sind Rüstungen NUTZLOS (Beispiel: Schadensspanne 2-12 Punkte, Rüstungen reduzieren nur 1, 2 oder vielleicht bei sehr schweren Rüstungen 3 Punkte. Damit haben Rüstungen kaum einen Einfluß). Ist die Spanne zu groß, dann fühlt sich ein Treffer, und sei er noch so gut erfolgt, aufgrund der kompletten Absorption auch als NUTZLOS an (Beispiel: Schadensspanne 1W6+4, Rüstung "schluckt" 5, 10, 15 Punkte. Da käme schon bei der mittleren Rüstungsstärke nichts mehr durch. Ein Treffer wäre OHNE EFFEKT und damit frustrierend für den Spieler.)
Lebenskraft-Modelllierung - Hier steckt drin, wie hart im Nehmen die Charaktere so sein sollen. Wie viele Treffer mit welcher Intensität sollen sie denn wegstecken können - und mit welchen Effekten? Soll man mit einem guten Dolch-Treffer einen Charakter mit einem Treffer töten können? Oder soll ein Charakter sogar fünf Dolchstöße mit vollster Kraft einfach so einstecken, bevor er wirklich was "spürt"? - Die Spanne des Waffenschadens ist demzufolge daran gekoppelt, wie lange ein Charakter in einem Kampf denn stehen und aktiv bleiben können soll, also an Gameplay-Überlegungen (cinematische Hard-To-Kill-Nehmerqualitäten, Teilhabe am Spielgeschehen, Häufigkeit von Charaktertoden = Spielerfrust, etc.)
Es gibt sicher auch noch andere mögliche Kopplungseigenschaften, die aber in Splittermond nach meiner Wahrnehmung deutlich geringeren Stellenwert haben (Lernkosten für unterschiedliche Waffentypen = Balancing über Charakteraufstiegsgeschwindigkeitsregulierung, Preise für unterschiedliche Waffen = Balancing über Spielwelt-Ökonomie (funktioniert NIE!), etc.).
Wenn ich jetzt hier lese, daß z.B. solche Ein-Wurf- bzw. Wurf-Gegenwurf-Mechaniken bei der Modellierung der Waffenwerte favorisiert werden, dann VERMISSE ich hier das Bewußtsein der diese Mechaniken unterstützenden Teilnehmer dafür, WAS ALLES an solchen Mechaniken dran hängt.
Macht Euch mal die Intensität und die Anzahl der KOPPLUNGEN von Spielwerte-Größen, Werte-Spannen, Abhängigkeiten klar, wenn Ihr solche Vorschläge unterbreitet.
Solche Systeme wie Dungeon-Slayers sind VON GRUND AUF auf solch eine starke Kopplung hin entworfen. Da sind Charakterwerte, Waffenwerte, Modifikatoren, Zauberwirkungen, usw. alle abgestimmt auf die W20-Spanne! - Man kann dann solche einzelnen Bereiche nicht mehr isoliert betrachten!
Splittermond ist VON GRUND AUF auf das Tick-System entworfen worden. Das wirkt sich auf Handlungen, Waffen-Balancing, Sonderfähigkeiten und Zauber durchgängig aus. Diese kann man dann auch nicht mehr isoliert vom Tick-System betrachten.
Aktuell ist der Waffenschaden noch vergleichsweise isoliert. Das ist ein FREIHEITSGRAD, der es den Entwicklern LEICHTER macht eine gute Balance zu finden!
Je enger Waffenwert mit anderen Bereichen koppeln, desto weniger Freiräume zur Gestaltung bleiben den Regelentwicklern - und desto MEHR ZEIT wird eine passende Anpassung kosten!
Dies mal als mein Eindruck zu den Zusämmenhängen, die eventuell nicht jedem ins Auge springen, wenn nur isoliert über Waffenwerte diskutiert wird.