Niam muss erst tief einatmen, bevor er schließlich zu reden anfängt.
"Nun, ich... ich bin ehrlich gesagt etwas unsicher... In meiner Heimat sind solche Messen eher eine Seltenheit, doch will ich mein möglichstes tun, um diese Feierlichkeiten zu unterstützen. Zuerst... ich denke, zuerst sollte ich mich vorstellen."
Er räuspert sich kurz:
"Mein Name ist Niam! Ich diene der Großen Schlange Zarusz. Ich weiß, Schlangen haben in diesen Landen keinen guten Ruf, wie auch andere Schuppentiere. Ich glaube, das liegt daran, dass man sich hier noch sehr gut an die Sklaverei der Drachlinge erinnert. Und man erinnert sich auch daran, dass es Yonnus und die anderen Götter waren, die die Völker Dragoreas aus der Knechtschaft befreit haben."
"Wir Sterblichen haben den Göttern viel zu verdanken und auch in meiner Heimat ist es nicht anders. Lasst mich euch kurz von meiner Göttin und ihrem Opfer erzählen: Vor vielen, vielen Jahren, zu der Zeit der Drachlinge soll es einst ein Menschenreich namens Lurgosh gegeben haben. Doch das Reich war verdorben und die Herrscher des Reiches hielten sich genau wie die Drachlinge Sklaven. In ihrer Wut und Verzweiflung riefen die Sklaven nach Hilfe. Und so wie in Dragorea, so wurden ihre Gebete erhöht... Varnu, der göttliche Scharfrichter erschien und verwandelte Lurgosh in eine glühende Hölle, die nun als die Flammensenke bekannt ist."
"Doch Varnu erwies sich als ein noch größerer Tyrann als das Volk von Lurgosh. Er duldete in seinem Reich keinen anderen Gott und führte einen Krieg gegen alle alten Götter Lurgoshs und ihre Gläubigen. Er tötete und verjagte die alten Götter und drohte mit seinen Flammen die ganze Welt zu verbrennen, bis nichts mehr übrig war, außer ihm und seinen Anhängern."
"Eine der gefallenen Götter Lurgoshs hatte aber ein mächtiges Vertrautentier: Zarusz, die göttlihe Schlange. Während ihre Herrin floh, sah Zarusz das Leid, dass die Flammen Varnus über die Lebenden brachte. Ohne zu zögern, warf sie sich in den Weg der Flammen und kam dabei um. Doch ihr Blut löschte die Flammen und Varnus Macht kam nicht mehr über ihren toten Leib hinaus."
"Ihr mögt euch fragen: Warum verehrst du einen toten Gott? Nun, dass ist die Antwort, die uns Zarusz zeigte: Als sie starb, gebar ihr Körper unzählige Schlangen und die Schlangenkönige. Sie wurden zu ihren Willen und beschützen auch heute noch meine Heimat, die man daher "Schlangenlande" nennt. Und wie ihr vielleicht wisst, können Schlangen sich selbst erneuern und ein neues Leben beginnen, in dem sie ihre alte Haut ablegen. Zarusz ist tot, doch sie wird es nicht bleiben. Niemand bleibt wirklich tot, denn auch wir Sterblichen haben alle einen unsterblichen Lebensfunke ihn uns. Solange jeden Tag, eine neues Leben die Welt erblickt, solange werden wir wieder und wieder kommen. Dies ist die Hoffnung, die Zarusz uns gab, als sie ihr eigenes Leben opferte."
"Wir Priester der Zarusz glauben, dass unsere Göttin eines Tages wieder zum Leben erwachen wird. Dann wird es keinen Grund mehr für Streit und Sorge geben und alle Lebenden werden in Frieden leben können. Doch bis dahin müssen wir, ihre Priester, anstelle unserer Göttin ihre Wunder wirken und das Leben beschützen. Ihr Menschen Selenias habt das große Glück, dass eure Götter stark und am Leben sind."
[color]"Dennoch möchte ich euch heute um eines bitten: Helft ihnen! Helft euren Göttern! Denn nichts mehr erfüllt einen weisen Vater mehr mit Freude, als zu sehen, wie sein Sohn selbst zur Weisheit kommt. Und eine starke Mutter kann sich nicht mehr wünschen, als eine Tochter, die wachsam die ihr Anvertrauten beschützt. Yonnus und die anderen Götter haben euch aus der Knechtschaft befreit und halten ihre schützende Hand über euch. Und wenn ich das wagen kann zu behaupten: Sie tun dies, damit ihr Selenier zu einem starken und gesunden Volk heranwachsen könnt."[/color]
"Um das zu erreichen, möchte ich euch noch als Heiler, nicht als Priester einer fremden Gottheit folgenden Rat geben: Achtet auf eure Gesundheit!"
Niam kommt kurz ins Stocken. Mit einen Seitenblick schaut er zu den Anklor und den hohen Herren dieser Baronie. Dann macht er weiter:
"Um eure Götter für die Gabe der Freiheit zu danken, müsst ihr auch euren Körper und Geist frei von Krankheiten halten. Und die beste Medizin von allen, das ist Zusammenhalt. Achtet auf eure Mitmenschen und darauf, was ihnen fehlt! Gebt den Hungrigen Essen, den Schwachen Schutz und den Einsamen Liebe. Die Bösen Geister, die euch verderben wollen, werden versuchen, euch folgende Lügen hins Ohr zu setzen: 'Ich brauche es mehr als der Andere!', Ich habe es mir mehr verdient als du' und 'Es wird schon niemanden auffallen'. Sie versuchen euch zu entzweien, damit ihr euch gegenseitig aushungert und verletzt. Und wenn ihr dann geschwächt seit, werden sie in euch eindringen und euren Leib verderben."
"Vielleicht fürchtet ihr nun, dass es schon zu spät sei, dass mein Rat zu spät kommt. Doch habt keine Angst, denkt immer daran, in euch alle brennt der unsterbliche Lebensfunke. Egal wie auch die bösen Geister eure Körper matern, eure Seele wird immer unberührt bleiben und aus ihrem Licht, das die Götter in euch eingepflanzt haben, kommt immer wieder eine neue Chance, eine neues Leben. Jeder von euch hat die Kraft, ein neues Leben anzufangen, ein Leben, dass dem Geschenk der Götter würdig ist. Denn warum sonst haben sich Yonnus, Agomai, Zarusz und alle anderen bekannten und unbekannten Götter derart für uns Sterblichen eingesetzt, wenn nicht aufgrund der Hoffnung, dass wie Sterbliche Großes vollbringen können."
Endlich kommt Niam zum Schluss seiner Predigt. Er ist selbst überrascht, wie lang sie geworden sind und er hat das Gefühl, dass die Worte nicht allein von ihm stammen. Mit einen Blick auf Naja erkennt er, dass seine Gefährtin nun heller zu leuchten scheint als zuvor.