Spielregeln für Rollenspiele sind immer unvollständig und bilden nicht jede Situation, welche Auftreten kann, ab. Diesen Anspruch erheben die Regelwerke auch nicht. Deshalb steht in jedem Regelwerk, an welches ich mich erinnere auch drin, das Regeln angepasst und erweitert werden können.
Die Spielregeln sind eine Abstraktion zur Entscheidungsfindung von spezifischen Situationen, in denen sie anwendbar sind. Kampfregeln umfassen dabei einen eng begrenzten Bereich des Kampfes auf der typischen Scharmützelebene einer Heldengruppe. Sie versuchen nur bedingt realistisch zu sein, sondern vor allem eine balancierte und flüssige Handlungsabfolge und Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Wenn eine Waffe im Kampfsystem also nur einen bestimmten Schaden verursacht, bedeutet dies nicht, dass dies der ganze Schaden ist, den die Waffe theoretisch anrichten könnte, sondern gibt nur einen abstrakten Vergleich zu anderen Waffen für eine Kampfsituation nach den Kampfregeln. Für die Kampfregeln lässt Splittermond als System die Verletzungen abstrakt, das ist völlig in Ordnung. Aber schon die Kampfregeln sind nicht flexibel genug für die Fantasie der Spieler, welche Ideen haben und Dinge tun wollen, welche in den Regeln nicht abgebildet sind.
Als Spielleiter sehe ich mich in der Rolle, den Spielern so viel Freiheit zu erlauben wie möglich, und sie so wenig einzuschränken wie nötig. Für mich ist eine pauschale Aussage "Es geht nicht, weil es nicht in den Regeln steht" ein Stimmungskiller.
Hier mal ein paar Situationen aus meiner Rollenspielkarriere, welche ich Spielern spontan erlaubt habe oder welche mir erlaubt wurden:
* Teppich unter den Füßen wegziehen
* Die Brosche entfernen, welche den Mantel zusammenhielt, an dem zwei Leute zogen, um den Charakter von der Wand zu reißen. Mantel war weg, aber die "Angreifer" saßen auf dem Hosenboden und der Spieler konnte die letzten Schritte die Mauer hochklettern.
* Kronleuchter los schneiden und auf einen Gegner fallen lassen
* Eine Ladung Schneebälle in eine Decke packen und diese zu zweit ruckartig Spannen, um einen von Schnee verwundbaren Vampir eine Schrottladung verletzende Schneebälle entgegenzuschleudern.
* Einen Schlag so zu beschreiben, dass ein Treffer des im "Ringkampf" befindlichen Gefährten ausgeschlossen war
* Einen Zauberstab wie einen Golfschläger verwenden um ein magisches, feindliches Artefakt zum Werfer zurückzuschlagen. Mein Kommentar: "Traumabschlag!" Dann gewürfelt, erste 20... zweite 20... na super! Alle Leute aus der Spielrunde vor Lachen gekrümmt. Auch ich, obwohl gerade ein gehörnter Dämon vor meinen Füßen Materialisierte ^^
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Ein anderer wichtiger Punkt in der Diskussion ist wie Realitätsebene zwischen Spieler und Spielwelt. Regeln sind ein Konstrukt für den Spieler, der Charakter ist sich der Regeln nicht gewahr, nur der Naturgesetze seiner Welt. Regeln spiegeln aber nicht immer die Naturgesetze der Welt wieder. Nur weil die Regeln einen Spielercharakter nicht gleich umbringen, wenn er vom Pferd stürzt, sondern nur regulären Fallschaden aus 1,5m Höhe erleidet und dabei noch abrollen (versuchen) darf, heißt das in der Spielwelt nicht, dass sich ein NPC nicht bei einem Sturz das Genick brechen kann. Die Regel dient hier dazu, den Charakter einerseits eine Konsequenz erleiden zu lassen, diesen aber auf keinen Fall sofort umzubringen, nur weil eine Tierführungsprobe gescheitert ist. Nur weil es keinen Zustand oder eine Verletzungsregel für "Genickbruch" gibt, bedeutet das nicht, dies würde auf Lorakis nicht vorkommen. Es passiert nur Spielerhelden nicht.
Und an dem Grundsatz, dass ein Spielercharakter durch so etwas banales nicht einfach stirbt, rüttle ich auch nicht. Ein Spieler erhält von mir immer die Gelegenheit, sein Schicksal zum guten zu wenden, und wenn er sich in extreme Gefahr begeben will, gebe ich ihm die Gelegenheit, dies noch einmal kurz zu überdenken. Dem Spieler wird nie die Kehle durchschnitten mit katastrophalen Auswirkungen für die Gesundheit, er bricht sich bei keinem Sturz automatisch das Genick. Er kann sich im letzten Moment wegdrehen und bekommt deshalb nur einen regulären Treffer ab oder erleidet regulären Sturzschaden wären die schlimmste Auswirkungen für einen Spielercharakter. Oder für die Spieler persönlich wichtige NPCs wie Familienangehörige, Gefolge, Mentoren, etc. pp.
Ein Spielercharakter verliert diesen "Schutz" erst, wenn er bewusst etwas Gefährliches im Wissen um die Gefahr tut. "Ich balanciere bei starkem Wind über den glitschigen Balken über die Todesgrube in die Unendlichkeit!" - "Bist Du sicher dass Du so etwas gefährliches Wagen willst? Dort hineinzufallen bedeutet den Tot! Vielleicht gibt es ja eine sicherere Möglichkeit, Dein Ziel zu erreichen." - "Klar, ich habe Akrobatik 14, ich darf nur nicht patzen. Oh Nein!"
Ich stimme Nevym mit seiner Aussage vollkommen zu. Wer nicht mit mir Spielen will, kann sich eine andere Beschäftigung suchen. Das kann auch nur eine andere Rollenspielgruppe sein, welche zum gewünschten Stil besser passt. Es gibt eigentlich immer genug kompatible Leute zur eigenen Meinung. Und wenn er eine Gruppe leitet, hat er auch das Recht, die Bedingungen zu diktieren, unter denen er das tut.
Gunware hat (imho) allerdings mit dem Einwand recht, die Geschichte wird von den Leuten gemeinsam gestrickt. Als Spielleiter liefere ich nur die Rahmenbedinungen, oft genug nehme ich von Spielern geäußerte Mutmaßungen spontan als Fakt in die Welt auf, weil sie die Geschichte interessanter machen, als ich sie mir ursprünglich mal vorgestellt habe. In den Hausregeln und Anmerkungen meiner DSA-Runde habe ich reingeschrieben, dass ich kein Kammerorchester betreibe, in dem jeder nur nach vorgeschrieben Einsatz aufspielen darf, sondern wir eine Jam-Session veranstalten. Ich schlage ein Thema vor, und mein Spiel verändert sich durch die Improvisation der anderen Spieler. Gerade deshalb finde ich es so wichtig, nicht nur streng nach Regeln zu spielen, sondern auch Abseits davon Möglichkeiten zu eröffnen, wenn Spieler spontan gute Ideen entwickeln.
@Alagos
Der Reiter kann auch schon drei Tage am Weg liegen, bevor er gefunden wird, wenn ich verhindern will, dass der Bote gerettet wird. Aber er könnte auch just in dem Moment vom Pferd fallen, als er an den Spielern vorbeireitet, und man hört nur noch ein hässliches knirschen. Eine Heilung ist hier ausgeschlossen (außer man hat Wiederbelebungszauber, die nachträglich wirken). Aber wenn ein Spieler nun doch eine Möglichkeit aus dem Hut zieht, die ich übersehen hatte, lasse ich den Spieler auch damit durchkommen. Dann muss ich halt mit den Konsequenzen eines unplanmäßig wiederbelebten Kurierreiters leben und einen anderen Weg finden, die Geschichte in Gang zu bringen.