Hallo,
ich kann das Problem nachvollziehen, sehe es aber ein wenig anders. Wir hatten während des Beta-Tests eine sehr lange Diskussion über Verteidigungs- und Angriffswerte und die Diskrepanz, bei der es schwierig war, die Meinungen letztlich auf einen Punkt herunterzubrechen. Was dabei herauskam war dann ungefähr folgendes: Auch, wenn ein Abenteurer absolut keine Chance in einem Kampf hat, so ist es vielen Spielern doch wichtig, zumindest das Gefühl zu haben, eine Chance in einem Kampf zu haben. Und diese Chance hat man nicht mehr, wenn ein Treffer / die Vermeidung eines Treffers rechnerisch nicht mehr möglich ist.
Statistisch spielt es eigentlich keine Rolle. Wenn ich bei DSA mit einer Anfängergruppe einen vielgehörnten Dämon oder Kaiserdrachen attackiere, werde ich zerfetzt. Wenn ich bei der World of Darkness als normaler Mensch unbewaffnet einen mächtigen Werwolf attackiere, werde ich zerfetzt. Wenn ich bei Edge of the Empire als Anfängercharakter einem Nemesis-Rancor entgegentrete, werde ich zerfetzt. Ich habe - statistisch betrachtet - keine Chance.
Aber eben nur statistisch betrachtet. Rein theoretisch gibt es eben diese Eins-zu-einer-Million-Chance auf so dermaßen absurdes Würfelglück, dass man siegt oder zumindest überlebt.
Mangels Autotreffer / Autoerfolg haben wir diese Chance bei Splittermond nicht.
Ich persönlich finde das nicht schlimm. Diese Chance von 1:1.000.000 ist ohnehin nur Augenwischerei. Aber ich kann gut nachvollziehen, dass diese Augenwischerei eben manchmal für ein Spielgefühl wichtig ist. Man kann sich darüber streiten, ob sie es nicht nur schlimmer macht: Ich persönlich finde es frustierender, würfeln zu dürfen und dann trotzdem zerfetzt zu werden. Aber: Your mileage may vary.
Das mal als Grundkommentar zu der Problematik, wie ich sie sehe.
Was kann man dagegen tun?
Kreativ werden. Ich weiß, das ist so eine Bullshit-Phrase, daher erlaubt mir, sie auszuführen. Ich sollte das als Regel-Guy nicht sagen, aber: In solchen extremen Fällen muss man als Gruppe kreativ genug sein, sich von den Regeln zu lösen. Denn gerade, wenn man ein komplexes Regelsystem hat, das viele, viele Möglichkeiten abdeckt, tendiert man dazu, auch immer nur innerhalb dieser gesteckten Möglichkeiten zu denken.
Die Regeln, gerade die Kampfregeln, stecken einen ziemlich engen Rahmen. Wir bemühen uns, alle häufigen Aktionen und die meisten immer mal wieder vorkommenden Handlungen abzudecken. Aber dennoch bleibt der Rahmen relativ starr und steif und ist immer auf eine Konfrontation, einen direkten Vergleich der Kampfwerte ausgerichtet. Extreme Ausnahmen kommen darin nicht vor. Es gibt ein paar Hinweise, was man machen kann - Zusammenarbeiten, taktische Vorteile und so weiter. Aber es ist unmöglich, jede denkbare Vorstellung abzudecken.
Ein Kampf einer Anfängergruppe gegen so eine Kreatur ist aber eine extreme Ausnahme. Eine spannende! Keine Frage. Aber eine extreme Ausnahme. Derartige Situationen aber schreien geradezu danach, aus dem Rahmen auszubrechen.
Wie hat Gandalf den Balrog besiegt? Klar, er hatte seinen Schutzzauber, aber er hat nicht mit Glamdring auf ihn eingeprügelt und ist seinen Angriffen ausgewichen. Er hat die Brücke zerstört und den Balrog in die Tiefe stürzen lassen. Wie hat Luke den Rancor besiegt? Er hat ihn unter ein Fallgatter gelockt und das Fallgatter herabsausen lassen. Wie haben Sarah Connor und der T-800 den T-1.000 besiegt? Sie haben ihn in den Schmelzofen stolpern lassen.
Ein anderes Beispiel: In einer meiner Gruppen mussten die Spieler gegen einen Drachen kämpfen. Einen direkten Kampf hätten sie nie überstanden. Also haben sie den Drachen auf einen präparierten Berggrat gelockt, eine Lawine ausgelöst, die ihn zunächst unter sich begraben hat, dann mit Seilen und Zaubern seine Bewegungsfreiheit eingeschränkt, bis sie ihn sozusagen auf ihre Schlaghöhe herabgedrückt hatten.
Das alles waren Gegner, die in ihrer persönlichen Macht dem Protagonisten deutlich überlegen waren. In einer direkten Konfrontation hätten sie keine Chance gehabt. (Gut, Gandalf vielleicht, aber egal.) Aber durch Kreativität, durch Denken außerhalb der Regeln, durch geschicktes Ausnutzen der Ressourcen und der Umgebung haben sie es geschafft.
Natürlich sind diese Situationen nicht von den Regeln abgedeckt. Und natürlich kann man mir das jetzt negativ auslegen: "Euer Regelsystem kann so etwas nicht darstellen, also sucht ihr nach Ausreden für etwas, was euer System nicht leisten kann." Das kann man natürlich so sehen. Meines Erachtens ist es aber so: Derartige Kreaturen sind zu einer gewissen Laufbahn der Abenteurerkarriere ganz bewusst als unbesiegbar ausgelegt. Und genau das ist die Herausforderung. Eine Konfrontation mit so einem Wesen ist für die allermeisten Personen vollkommen tödlich. Aber vielleicht, ganz vielleicht, sind ja gerade die Abenteurer diejenigen, von denen später die Bänkelsänger singen werden, weil sie das quasi unmögliche geschafft haben: Ein für sie unbesiegbares Wesen zu bezwingen.