Woran sich die Geister wohl scheiden ist mMn auch, dass man „böse“ unterschiedlich auslegen kann. Viele meinen damit scheinbar ausschließlich das absolut grauenhafte, unmenschlich Böse, das man nicht oder kaum nachvollziehen kann, andere sehen böse Taten auch schon bei weniger gravierenden Handlungen gegeben.
Ob man zB etwa das Eindringen in ein Mausoleum mit anschließendem Grabraub und dadurch auch der Entweihung der letzten Ruhestätte als böse, verachtenswerte Tat bezeichnet, muss im RPG jeder für sich selbst entscheiden. Gerade in der Fantasywelt, wo es mitunter viel um das Töten von Mitmenschen oder anderer intelligenter Humanoider geht und man die erschlagenen Leichen dann oft bedenkenlos plündert und liegen lässt, verschwimmen die Grenzen möglicherweise schneller als man denkt. Und man blendet dann auch vielleicht aus, dass die einfache Wache, die eines der Lagerhäuser des Oberfieslings bewacht, wahrscheinlich Frau und Kinder zurück lässt (ja, es ist für den Spieler nur ein NSC und kein realer Mensch aber für den Charakter ist der NSC genau so real wie er selbst) und als kleines Rädchen wahrscheinlich gar nicht (genau) weiß, was sein Brötchengeber so alles verbrochen hat, während man sich von hinten an sie heran schleicht und ihr die Kehle durchschneidet.
Passiert doch alles für ein höheres Ziel. Da muss man nicht weiter reflektieren, wenn man ein Leben nimmt, oder zwei oder drei. Oder war das doch eben eine böse Tat, die vermieden hätte werden können? Hat man sich vielleicht zwar das Ideal gesteckt, einen Helden, der für das Gute steht, zu spielen, setzt aber doch immer wieder Aktionen, die in der realen Welt zurecht hohe Gefängnisstrafen nach sich ziehen würden? Vielleicht ist gut und böse unbequemer weise doch nicht so eindeutig trennbar, wenn man das Thema nicht einfach schwarzweiß sehen will.
Mein Fazit: Kein Mensch (der nicht geistig krank ist) ist nur böse oder macht auf der anderen Seite nie etwas böses. Zumindest nach meiner Definition, bei der es bei genauerer Betrachtung so gut wie keine rein bösen oder auf der anderen Seite ausschließlich guten Charaktere geben kann (von kläglichen Versuchen einiger Paladinspieler abgesehen, was aber meiner Erfahrung nach nie so richtig funktioniert hat, weil die meisten Abenteuer schnell zu einer Farce werden).
Wer eine „Der Zweck heiligt die Mittel“ Maxime lebt, der kann aber wahrscheinlich auch die herzlosesten, grausamsten Taten für sich selbst rechtfertigen, weil er das Endziel selbst (zB den bösen Despoten entmachten) für sich als heldenhaft und „gut“ vertreten kann. Aber natürlich gilt: Jeder wie er möchte und vor allem: es ist nur ein Spiel