Es scheint mir, dass in dieser ganzen Diskussion "mmorpg Taunts im Tischrollenspiel: ja oder nein?" zwei recht unterschiedliche Herangehensweisen ans Rollenspiel aufeinander prallen.
A) Auf der einen Seite stehen Gruppen, wo jeder alles spielen können soll. Das Beispiel war ein schweigsames Mauerblümchen, dass den beredten Diplomaten verkörpern möchte. Dies soll dem Spieler nicht verwehrt bleiben und daher brauche es Regeln, selbst wenn der Spieler nicht in der Lage ist, seine Rolle glaubwürdig dar zu stellen.
B) Auf der anderen Seite stehen wohl Gruppen (in dieser Diskussion scheinbar in der Minderheit), welche die Herkunft des Rollenspiels vom Tabletop zwar kennen, aber ebenso die Einflüsse von Stegreiftheater und Schauspiel nicht ignorieren. Charaktere sollen bei dieser Sichtweise im Rahmen des Möglichen (!) glaubwürdig dargestellt werden.
Ich habe es bereits geschrieben: Aus meiner Sicht ist das entscheidende Moment, dass sich die Gruppe als Ganzes einig ist, welcher dieser Richtungen sie angehören möchte. Dann ist das Hauptziel des Rollenspiels nämlich erreicht: Dass alle am Tisch Spass daran finden.
Persönlich möchte ich die Einflüsse von mmorpgs auf meine Runden (DSA, SR und Splittermond) möglichst gering halten. Gruppenkonzepte umfassen bei mir nicht die Frage: Wer spielt Tank, wer Heiler und wer DD? (die holy Trinity des mmorpgs) Mit dem Ziel der Optimierung der Gruppeneffizienz im Überwinden von Feinden, sondern die Frage: Wie findet jedeR SpielerIn die Figur, die ihm/ihr zusagt, die er/sie verkörpern kann und die in der Spielwelt tatsächlich auch miteinander unterwegs sein würden? Mit dem Ziel der Gruppe als Ganzem ein unterhaltsames Gemeinschaftserlebnis zu verschaffen. Da sucht sich nicht jeder Spieler seine Lieblingsfigur aus, die er dann möglichst von den Werten her maximiert und dannach beschäftigt man sich möglichst nicht mit der Frage, warum diese Einzelhelden, die nur auf ihren glorreichen Auftritt warten, überhaupt zusammen Questen bestreiten.
Meine persönliche Erfahrung in 29 Jahren Rollenspiel ist, dass Spieler glücklicher sind am Spieltisch, wenn sie ihre Rolle auch einigermassen darzustellen in der Lage sind. Immer wieder war ich überrascht, welche Spieler zu welchen darstellerischen und auch schauspielerischen Leistungen fähig waren, nachdem sie über kurz oder lang ihre Rolle gefunden hatten.
Einen Krieger zu spielen und sich überhaupt nicht für Waffen oder Kampfregeln zu interessieren oder lange philosophische Gespräche als Magier führen zu wollen ohne selber in der Lage zu sein anständige Sätze zu sprechen und dabei dann auf seinen ganzen Auftritt auf Würfelwürfe reduzieren zu müssen, scheint mir wesentlich weniger ergiebig, spassig und für die Gruppenmitglieder ein freudiges Erlebnis, als wenn der Spieler des Ritters tatsächlich auch im RL eine gewisse Ahnung von Rüstungen und dem mittelalterlichen Turnierwesens hat.
Ja, das bedeutet, dass besagtes Mauerblümchen nicht alles spielen kann und dass es uns in unserer Gruppe tatsächlich wichtig ist, dass der Lateinlehrer die Aussagen seines Magiers so rüber bringt, dass man ihm diese auch einigermassen abkauft.
Um den Kreis zu schliessen: Nur weil meine Gruppe und ich das aber so sehen, heisst das keinesfalls, dass dies die einzige richtige Art zu spielen ist, denn "richtig ist, wenn es Spass macht"