Prolog
Das Alter lastete mittlerweile schwer auf ihm. Wo waren nur die Zeiten geblieben, als er im Angesicht zahlreicher Schrecken Heldentaten begangen und dem Tod ins Gesicht gelacht hatte? Lange vorbei. Mittlerweile war es wohl eher so, dass der Tod ihn auslachte und seinen beständigen körperlichen Verfall hämisch mitverfolgte. Der alte Gnom stand langsam und ächzend aus seinem Bett auf, der Schlaf wollte ihn heute Nacht einfach nicht finden. Mit steifen Gliedern wankte er zu einem Tisch in seiner Schlafkammer, sprach ein Wort und die Flamme einer Kerze tanzte plötzlich fröhlich auf ihrem Docht. Zumindest das konnte er noch bewerkstelligen, auch wenn ihm selbst die einfachsten Anwendungen der Magie von Tag zu Tag schwerer fielen. Er öffnete eine Lade des Tisches und zog einen kleinen ledernen Beutel daraus hervor. Er wog ihn kurz in seiner Hand und stellte zufrieden fest, dass sein wertvollster Besitz an seinen Platz war. Er lockerte das lederne Band das den Beutel verschlossen hielt und kippte den Inhalt mitten auf den Tisch.
Ein Ring. Ein einfacher silberner Ring mit einem eingefassten dunklen Rauchquartz. Er streichelte das Kleinod kurz zärtlich und Erinnerungen aus längst vergangenen Tagen überschwemmten seinen Geist. Traurig nahm er das Schmuckstück in seine linke Hand und streifte ihn über den Ringfinger seiner rechten. Der Gnom schloss seine Augen, berührte den eingefassten Stein und sprach ein kurzes Wort. Ein kribbeln erfasste seine rechte Hand, ein Gefühl das er schon viel zu lange nicht mehr erlebt hatte. Er lächelte. Dann öffnete er seine Augen wieder und blickte auf seinen größten Schatz. Dieser hatte plötzlich sein Aussehen verändert. An der Stelle des unscheinbaren runden Quartzsteins war ein stilisierter Drache getreten. Welch majestetisches Wesen... es schnürte ihm kurz seine Kehle zu, doch er fasste sich sehr rasch wieder. In einer Ecke krächzte es kurz und der Gnom stand überraschend behände auf und folgte dem vertrauten Ruf. Er blieb vor einem von einem schweren Leinentuch verhängten Objekt stehen und entfernte diesen. Ein großer Käfig kam zum Vorschein, in dem ein majestätitscher Kolkrabe saß, der den Gnom nun neugierig musterte.
Ein weiteres Krächzen.
"Gut, gut Attila. Ich weiß, du bist hungrig." Er ging kurz zu einem Schrank und holte eine hölzerne Schatulle hervor und kehrte zu dem Käfig zurück. Der Rabe hüpfte nun aufgeregt von einem Bein auf das andere und der Gnom öffnete lachend die Tür des Käfigs. Der Rabe sprang von seiner Stange und hüpfte sehr behände zur Tür des Käfigs und dann mit einem weiteren Satz auf die Schulter des Gnoms. "Verfressenes Ding. Du weißt doch, dass dir das Fressen in der Nacht nicht gut tut alter Freund." Der Rabe schnappte einmal tadelnd nach den Hörnerns des Gnoms, krächzte dann aber ein weiteres mal fast belustigt. Der Alte öffnete nun die Schatulle und nahm eine tote Maus daraus hervor, die er sogleich auf den Boden warf. Attila verstand dies als Einladung und machte sich sofort über seine Beute her. "Lass es dir schmecken alter Freund. Ich werde wieder ins Bett gehen und versuchen noch etwas zu schlafen." Er ging wieder zum Tisch und wollte gerade wieder den Ring abnehmen, als es plötzlich heftig an seiner Tür klopfte und er schon befürchtete, dass die Tür gleich samt Rahmen ins Zimmer geschleudert wurde.
"Bei Vangara, wer wagt es mich zu solch später Stunde zu stören? Komm morgen wieder, oder besser noch: gar nicht!"
Kurze Ruhe. Kein Laut war zu vernehmen. Selbst Atilla hatte sein Mahl unterbrochen, was sonst nicht seine Art war. Ein merkwürdiges Gefühl befiehl den alten Gnom. Langsam, Schritt für Schritt, ging er zu einem großen und massiven Schrank, der neben seinem Bett stand. Er öffnete ganz vorsichtig die Schranktür und zog ein Schwert aus einer Scheide hervor, dass dort die letzten fünf Jahre sicher unangetastet gelegen hatte. Auf dem Knauf war das gleiche Symbol wie auf seinem Ring zu sehen... der Drache. Das leblose Stück Stahl schien im neue Kräfte zu verleihen. Ein paar Augenblicke vorher noch ganz zittrig stand er nun angespannt und entschlossen neben seinem Bett und lauschte.
Abermals klopfte es heftig und Attila flatterte erschrocken hoch auf die Schulter des Gnoms, der nun breitbeindig inmitten des Zimmers stand und wartete.
"Noch einmal. Welch Sohn eines unverfrorenen Rattlings wagt es mich zu dieser späten Stunde zu stören. Verschwindet. Ich erwarte heute Nacht niemanden."
Er hatte das letzte Wort gerade zu Ende gesprochen, als die Tür plötzlich mit einem lauten Knall zerbarst und eine Wolke aus scharfen Holzsplittern in das Zimmer geschleudert wurde. Er hob seine Hände schützend vor sein Gesicht, konnte aber nicht verhindern, dass einige dieser Splitter sich in sein Fleisch bohrten. Und dennoch: so lebendig hatte er sich seit Jahrzehnten nicht gefühlt. Dort wo eben noch die Tür war, trat nun eine massige Gestalt in den Türrahmen, und musste sich doch noch einiges ducken um überhaupt die Türschwelle überqueren zu können. Ein Varg. Schwarzes Fell, sicher doppelt so groß wie der Gnom, der nun mit gezückter Waffe und kampfeslust fünf Schritte vor dem Vargen stand. Dieser hatte wohl in einer einstigen Schlacht ein Auge und ein Ohr eingebüßt. Mal sehen, was dieser Abend noch so für diesen Bastard bereit hielt. Der Varg musterte ihn amüsiert, in der rechten ein großes Schwert. Hinter ihm bahnten sich nun ein Mensch und ein Zwerg ihren Weg in seine Hütte. Die Gesichter der beiden waren nicht zu erkennen, schwarze Kapuzen verhinderten dies. Auch diese beiden waren bewaffnet. Der Mensch mit einem Säbel, der Zwerg mit einer sehr beeindruckenden Streitaxt.
"Verzeih unser zugegeben etwas unverfrorenes Eindringen Bargosch," lächelte in dieser nun kalt an. "Du hast etwas, was wir dringend benötigen. Und wenn du es uns aushändigst, wird diese Tür das einzige sein, was in dieser Nacht hier Schaden nehmen wird." Die Stimme war eisig kalt und dem Gnom durchlief ein Schauer.
"Hier wohnt kein Bargosch. Noch nie von ihm gehört. Ihr könnt also von dannen ziehen, aber erst nachdem ihr mir meine Tür ersetzt habt."
"Bargosch... Leugnen ist zwecklos. Wir wissen wer du bist. Wir wissen was du bist. Und wir wissen wem du dienst." Der Blick des einohrigen Vargen fixierte die rechte Hand des Gnoms. Welch Narr er doch war. Er hatte die Illusion aufgehoben. Und das aus reiner Sentimentalität. Und er hatte alle anderen damit in Gefahr gebracht. Das durfte nicht passieren. Egal wer seine Gegner waren, der Ring durfte ihnen auf keinen Fall in ihre Hände fallen. Er atmete einmal tief ein und wieder aus. So wie er es schon so viele Male vorher in seinem Leben in solchen Situationen gemacht hatte. Ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus und er strahlte plötzlich eine Zuversicht aus, welche den Menschen und den Zwergen kurz einen Schritt zurückweichen ließ.
"Den Ring wollt ihr also haben? Deswegen weckt ihr einen rechtschaffenen Gnom nach Mitternacht? Dann holt ihn euch doch wenn ihr könnt!"
Er schloss kurz seine Augen, öffnete seinen Geist der Magie und rief ein lautes Wort. Noch ehe seine Angreifer reagieren konnten, durchströmten ihn ungeahnte Kräfte. Die Last des Alters spielte plötzlich keine Rolle mehr und die folgenden Dinge passierten beinahe zeitgleich. In einem weiten Bogen warf er seine Waffe in Richtung der Fenster das unter lautem Getöse zerbarst. Er zog seinen Finger von seinem Ring und warf ihn in die Luft.
"Los Attila, bring den Ring zu unseren Freunden. Flieg, Fliiiie....."
Weiter kam er nicht mehr. Er blickte an sich herab. In seiner Flanke steckte die breite und nach Blut dürstende Klinge des Vargen, welcher ihn voller Zorn anstarrte. Bargosch musste sich eingestehen, dass dies in seiner Jugend immer besser funktioniert hatte. Er blickte kurz zur Seite und sah Attila, der laut kreischend in Richtung des Fensters flog und in die Nacht hinaus verschwand. Der Varg fluchte laut und in seine Begleiter machten sich rasch daran, aus der Hütte zu stürzen. Für Bargosch schien es, als würde die Zeit so langsam wie Honig dahin laufen. Zäh und Träge wirkte nun alles und ein Gefühl der Kälte bemächtigte sich seiner. Er schlug hart auf dem Boden auf und konnte nur noch unscharf erkennen, dass sich eine weitere Gestalt in die Hütte begab. Eine zierliche und hübsche Albin mit weißen langen Haaren gesellte sich zu ihnen und blickte ihn aus kalten Augen an.
"Niala. Finde den Vogel. Egal was du dafür tun musst, egal wen du dafür töten musst... finde diesen verdammten Vogel. Wir brauchen ihn." Der Varg war außer sich vor Zorn und starrte Bargosch aus seinem verbliebenen Auge voll Hass an. Wenn Blicke töten könnten... Bargosch musste kurz lächeln. Die Albin legte kurz ihre Hände vor ihr Gesicht und flüsterte ein paar unverständliche Worte. Und plötzlich veränderte sie sich. Sie wurde kleiner und kleiner, ihr Gesicht nahm raubvogelartige Züge an, aus ihrer geschwärzten Lederrüstungen wuchsen Federn. Ein paar Augenblicke später blickten Bargosch zwar immer noch diese beiden kalten Augen an, aber vor ihm hockte nun ein weißer Bussard, der sich mit einem Satz in die Lüfte erhob und durch das zerbrochene Fenster verschwand.
"Flieg Attila. Flieg so schnell wie du noch nie geflogen bist."
Das waren die letzten Worte, die Bargosch in diesem Leben und auf dieser Welt von sich gab. Er starb wie es sich für einen Hüter gehörte, in Würde und im Kampf. Den Tod konnte er nirgends hämisch lachen hören. Bargosch war zufrieden.
Stille. Dunkelheit.