Kampf um Palitan oder Der Krieg der fünf Tage: Teil I
Atasato und Palitan (Ren und Luo)
Noch Tage nach der Abreise der „Seidenen Stadt“ bestimmte die Tributkarawane die Gespräche in Atasato. Die Einwohner fragten sich, wie die Reise verlaufen mochte und ob die Abgaben Gnade vor den Augen der Göttlichen Kaiserin finden würden. Deshalb und angesichts der furchterregenden Mordserie der „Bleichen Dame“ war Prinzessin Hui Amui fast in Vergessenheit geraten. Taisho Ranku Kane blieb hingegen Stadtgespräch, hatte sich freilich nicht nur Freunde gemacht. Etliche meinten, sie sollte mit ihren Soldaten Piraten und den vorlaut gewordenen Kungaiki Respekt leeren, statt in Atasato das bestehende Machtgefüge zu gefährden.
Ren und Luo waren in Atasato geblieben, auch wenn sie gerne die „Seidene Stadt“ begleitet hätten. Sie wollten weiterhin Prinzessin Amui unterstützen. Tatsächlich wurden sie zwei Tage nach dem Abschied ihrer Kameraden in das kleine Anwesen bestellt, das der Fürst von Atasato der Prinzessin zur Verfügung gestellt hatte. Aumi und ihre Exilanten-Einheit wurden zunehmend als Problem empfunden. Han Mari und ihr selenischer Untergebener hatten die inzwischen fast 200 Bewaffneten zwar im Griff, aber die Einheimischen machten sich dennoch Sorgen. Amui hatte noch nicht entschieden, was mit der Truppe passieren sollte. Sie erwog Rens Vorschlag, die Soldaten einem Daimyo zur Verfügung zu stellen, der Hilfe gegen Piraten brauchte. Der Kampfgolem, den man im Haus von Zakur Saburo geborgen hatte, war noch nicht einsatzbereit, und die Prinzessin schwankte, ob sie ihn in Betrieb nehmen oder aber als politisches Geschenk verwenden sollte.
Die Prinzessin tauschte sich mit den beiden Abenteurern über die jüngsten Ereignisse aus. Aus Zhoujiang kamen beunruhigende Neuigkeiten: Die Gerüchte über einen drohenden Angriff der Jogdaren schienen zu stimmen. Nachdem General Wu sie erst kürzlich geschlagen hatte, war zu erwarten, dass sie sich andere Ziele suchen würden – vermutlich in der neutralen Fangschreckenprovinz. Währenddessen zog Wu immer mehr Truppen zusammen, unter anderem fremdländische Söldner, die in Taka ins Land kamen. Angeblich wurden sie in der nördlichen Büffelprovinz bei Kanluran konzentriert. Da Wu sich als Beschützer des Reiches präsentierte, kam für ihn ein Bündnis mit den Jogdaren wohl kaum in Frage.
In der Phönixprovinz, im Machtbereich der Loyalisten, gab es anscheinend Spannungen: zwischen den einheimischen Mangmong-Bergnomaden und zhoujiangischen Pilgern. Amui sah darin freilich keine ernste Bedrohung. Aber die Kaiserlichen waren diplomatisch isoliert. An ausländischen Mächten hatten sie einzig und allein mit den Jogdaren eine direkte Grenze, denen nicht zu trauen war. Jedes Bündnis mit den Reiternomaden würde einen Ansehensverlust bedeuten, auch wenn es einige am kaiserlichen Hof gab, die dafür plädierten. Amui zweifelte an den Gerüchten über Wus Heirats- und Allianzpläne, doch war zu erwarten, dass der Verräter versuchen würde, seine Militärdiktatur eine Zukunftsperspektive zu geben.
Amuis eigene Bestrebungen, in Palitan einige moderate Triadenanführer zu gewinnen, waren an radikalen Kräften unter den Triaden gescheitert. Deshalb hatte sie sich gezwungen gesehen, mit den Kintarai zu verhandeln. Doch gab es unter diesen Fraktionen, die sehr ambitionierte Pläne hegten. Diese verlangten von Amui weitreichende Zugeständnisse – wozu sie dank der kaiserlichen Siegels, das sie sich mit Hilfe der Abenteurer beschafft hatte, auch in der Lage wäre.
Eine Gruppe aus Handelsherren Atasatos, einigen nördlichen Daimyo und auch Teile des Suguri-Klans hatte ihre Forderungen im „Ultimatum von Stahl und Seide“ zusammengefasst. Das geheime Schreiben enthielt zehn Forderungen an Zhoujiang, hingegen kaum Zugeständnisse. Es verlangte den Abbruch der militärischen Beziehungen zu Kungaitan (deren Kooperation mit den Triaden Kintai ein Dorn im Auge war), ein Vorgehen gegen in Zhoujiang lebende Exilanten aus Kintai, sofern sie ihrem Herkunftsland zu schaden trachteten, aber ebenso kintarische Jurisdiktion über jene Einwohner Zhoujiangs, die Verbrechen gegen Kintarai begangen hatten, ja sogar die Erlaubnis, diese unter bestimmten Umständen über die Grenze verfolgen zu können. Zudem forderte das Ultimatum eine Mitgliedschaft im Handelsrat. Neben einem permanenten Posten sollte zudem die Möglichkeit für Kintarai geschaffen werden, sich künftig dort „einzukaufen“. Das Ultimatum enthielt zudem die kaum verdeckte Offerte an alle Provinzfürstinnen, die mit den Triaden haderten – wie Liu Luli in der Kranich- und Zo Zo in der Spinnenprovinz – bei der Beseitigung von „Hindernissen“ zu helfen. Das Schreiben endete mit der Drohung, falls binnen fünf Monden keine Antwort käme, würde man die Ziele auf andere Art und Weise verfolgen. Ren als Patriotin sah das Ultimatum n als Zumutung, obschon es in erster Linie die Triaden bedrohte. Amui hatte sich bisher gegen ein Unterzeichnen gesperrt. Doch langsam gingen ihr die Optionen aus.
Nicht direkt in das Ultimatum involviert war Generalin Ranku Kane, die offenbar eigene Ziele verfolgte. Ihr war mehr daran gelegen, dass Zhoujiang formell das Recht Kintais anerkannte, in Sadu „für Ordnung zu sorgen“. Offensichtlich plante die Generalin eine aktivere „Vorfeldsicherung“ gegen die Transkabilischen Rebellen. Es war offenkundig, dass hier verschiedene Fraktionen Kintais ihre Agenden verfolgten. Die „Nord-Fraktion“ drängte auf Einfluss in Zhoujiang, während die „Südfraktion“ die schwärende Wunde Sadu ausbrennen wollte.
Ausgerechnet Ranku Kane sollte jetzt nach Palitan gehen, um die örtliche Botschafterin Suguri Jun bei den Verhandlungen betreffs des Ultimatums zu unterstützen. Amui wünschte, dass Ren und Luo die Generalin begleiteten und die Augen offenhielten. Amui würde nicht mitkommen, da viele im Palitaner Handelsrat auf ihre Anwesenheit feindselig reagieren würden.
Die Abenteurer hörten sich in den folgenden Tagen nach möglichen Gefahren auf der Reise um. Man erzählte sich, eines der neuen Schildkrötenpanzerschiffe der Triaden sei mit einer echten Drachenschildkröte aneinandergeraten. Nahe Atasato hatte der „rote Oni“ Benkei für Aufsehen gesorgt, als er angeblich einen menschenfressenden Tiger mit bloßen Händen besiegt hatte.
Ren und Luo wurden noch einmal von Madame Jia eingeladen. Sie behandelte die Abenteurer höflich, auch wenn deren Ermittlungen in der Mordserie nicht zu Jias Zufriedenheit ausgegangen waren. Immerhin hatte das Eingreifen der kaiserlichen Armee Schlimmeres verhindert und die Unterweltkonflikte waren nicht eskaliert. Die Kurtisane deutete Besorgnis um Ranku Kane an und riet den Abenteurern kryptisch, im Notfall eine helfende Hand zu ergreifen. Luo fielen einmal mehr die scheinbar „lebendigen“ Tätowierungen an Hals und Armen Jias auf, die allem Anschein nach Drachenfische zeigten.
Die Gesandtschaft würde aus der Generalin, einigen Gefolgsleuten (Tadanishi Hiro, der Anführer ihrer Leibwache, die Zwillingsschwestern Akira und Kari, der Knappe Ranku Nobonagu sowie Naoki, ein ehemaliger Ashigaru und exzellenter Bogenschütze). Dazu kamen 20 Speerträger, 10 Drachenrohr-Schützen sowie 30 Bedienstete. Die Gesandtschaft würde auf einem Transportschiff reisen, das von zwei leichten Wachschiffen begleitet wurde. Die Reise nach Palitan würde drei Tage währen.
Der Abschied der Gesandtschaft vollzog sich in einer formellen Zeremonie, zu welcher der Fürst von Atasato und seine „getreuen“ Berater vom Ring von Jade und Eisen erschienen waren. Kanes Quirin, das zurückbleiben sollte, ließ sich nur widerwillig von seiner Reiterin trennen – ein bedrohliches Omen.
An Bord des Transportschiffs ging es beengt zu. Der innere Zirkel der Generalin fand dennoch Zeit und Platz zu trainieren, wobei Luo beim Bogenschießen wie beim Kampf mit Übungswaffen gut mithalten konnte. Ren schulte hingegen ihre diplomatischen Fähigkeiten im Gespräch mit der Generalin. Diese erhoffte sich Informationen zum Machtgeflecht in Palitan. Ren zweifelte zwar an der Mission der Generalin, gab ihr aber dennoch hilfreiche Einblicke, die sie freilich zugunsten der designierten Fürstin Zo Zo einfärbte.
Nachts legten die Schiffe am Ufer an, wobei der Transporter von den Wachschiffen flankiert wurde. Die Soldaten und die Leibgarde standen umschichtig Wache. Auch Luo und Ren beteiligten sich.
Am Nachmittag des zweiten Tages wurde achtern ein großes Schiff gesichtet, das rasch aufholte. Es handelte sich um ein Schildkrötenpanzerschiff - dasselbe, das vor einigen Wochen Atasato passiert hatte. Mit seinen zahlreichen Kanonen wirkte es bedrohlich, doch gab sich die Generalin betont gleichmütig. Zur Crew schienen sowohl Söldner/Berater aus Kungaitan als auch Zhoujiangi zu gehören, anscheinend Kämpfer der 13 Blätter. Das stieß Ren sauer auf, da sie dieser Triade besonders misstraute. Die gepanzerte Galeere folgte der Gesandtschaft bis Palitan, hielt aber immer einen gewissen Abstand. Natürlich wurde die Wachsamkeit noch einmal erhöht. Am dritten Tag kam Palitan in Sicht. Während das Schildkrötenschiff problemlos anlegen konnte, gaben einige Wach- und Handelsschiffe den Kintarai-Schiffen nur zögerlich den Weg frei. Die Zollbeamten traten freilich betont höflich auf. Die Generalin beschloss, die Schiffe lieber zum Kintarai-Ufer zu schicken, sobald die Gesandtschaft ausgeschifft war.
Vom Haupthafen Palitans, dem Drachenmaul, war es etwa ein Kilometer bis zum Schwertalbenviertel. Viele Passanten musterten die Gesandtschaft neugierig, doch gab es auch feindselige Blicke. Es war erstaunlich, wie schnell sich die Gerüchte über das Kintarai-Ultimatum verbreitet hatten.
Fast das ganze Schwertalbenviertel war zur Begrüßung auf den Beinen, an der Spitze Botschafterin Suguri Jun und die örtliche Hohepriesterin Nanami aus dem Sternenmeer, deren Begräbnistracht nicht recht zu ihrem kindlichen Auftreten und dem Anlass passen wollte. Neben ihr stand ein Mann mit leerem Gesichtsausdruck. Zu ihrem Erstaunen erkannten die beiden Abenteurer den Utsuro, der ihnen etliche Monate zuvor nahe Miari begegnet war. Wie er hierhergekommen war, blieb ebenso rätselhaft, wie die Worte der Hohepriesterin. Sie fragte Luo, ob er wisse, dass er eine Schlange auf der Schulter trage (was dieser als Warnung vor einem Verräter oder als Hinweis auf die…komplizierte…Ursprungsgeschichte seines Schwertes wertete). Ren wurde gefragt, ob sie Spinnen oder Ratten mehr fürchten würde. Sie erwiderte gallig, dass Drachen ihr am meisten Angst machten – eine Anspielung auf General Wu, die allerdings Nanami nicht zufriedenzustellen schien.
Die Abenteuer hatten wenig Zeit sich zu erholen, bevor sie von Suguri Jun einbestellt wurden. Die Generalin war ebenfalls anwesend. Die Botschafterin teilte mit, dass sich die Lage in Palitan angespannt sei, angesichts der Gerüchte über das anmaßende Ultimatum oder gar Invasionspläne der Kintarai. Suguri Juns Bemühungen, die Lage durch Gespräche mit gemäßigten Elementen im Handelsrat und demonstrative Großzügigkeit zu beruhigen, hatten nur begrenzten Erfolg gezeitigt. Die Botschafterin bat die Helden um Unterstützung, auch wenn Ren sich mit Zusagen zurückhielt. Sie war nicht glücklich über das Ultimatum, wollte jedoch eine Eskalation verhindern. Bis zum Beginn offizieller Gespräche würde es noch eine Weile dauern. Den Auftakt würde eine Audienz bei der designierten Fürstin Zo Zo machen, für die eine prachtvolle Brigantine als Geschenk zu ihrem Geburtstag bereitlag. Luo bemerkte, dass zwischen Kane und Jun Spannungen herrschten. Wahrscheinlich hatten die beiden unterschiedliche Ziele. Er regte an, Ranku Kane sollte sich als Schutz vor Attentatsversuchen nach einer Doppelgängerin umsehen, doch die Taisho war nicht gewillt, sich hinter dem Rücken anderer zu verstecken.
Luo und Ren vermuteten, dass jemand die Lage anheizte, fanden dafür aber trotz ihrer örtlichen Kontakte keine Beweise. Es gab Gerüchte, Kintai würde mit General Wu und Emissären von Prinzessin Yi verhandeln. Wahrscheinlich fürchteten viele in den Triadengebieten, zwischen der Armee Myurikos und den anderen Bürgerkriegsparteien zerrieben zu werden. Vielleicht stachelten auch die neuen Triaden-Verbündeten aus Kungaitan die Leute an, waren sie doch dafür bekannt, Kintais Einfluss wo immer möglich zu bekämpfen. Doch gab es auch lokale Stimmungsmacher gegen Kintai, besonders die Triade der 13 Blätter. My-Mei versuchte angeblich die Lage zu beruhigen. Die Position der Kirchen, namentlich die der in der Spinnenprovinz starken Gagamba-Priesterschaft, blieb undurchsichtig. Manche raunten, Kintarai-Truppen würden an der Grenze zusammengezogen, um im Auftrag von Zo Zo den Handelsrat unter Druck zu setzen oder diesen gar zu entmachten. Zur allgemeinen Unruhe trugen Berichte von Angriffen auf Beamte und Priester des Gagamba-Kultes bei. Manche gaben den Kintarai die Schuld dafür und hielten dies für die Vorbereitung einer Invasion.
Auf die beunruhigenden Neuigkeiten reagierte jeder auf seine eigene Art und Weise. Ranku Kane ließ ihre Soldaten exerzieren und inspizierte das Schwertalbenviertel. Ren sondierte beim Fürstinnenhof, indem sie auf die Verbindungen zurückgriff, die sie bei ihrem letzten Besuch in Palitan hatte knüpfen können. Auch die angehende Fürstin schien bemüht, eine Eskalation zu verhindern. Aber Rens Versuch, zwischen Fürstinnenhof und My-Mei zu vermitteln – damit die angehende Fürstin und die mächtige Triadenherrin, eine geeinte Front präsentierten – scheiterte. Zwar beteuerte die Herrin der Archive und Oberhaupt des Seidenen Lotos, dass sie Frieden wolle. Aber My-Mei war nicht bereit, dafür etwas aufzugeben. Sie hielt Rens Warnung, dass General Wu Kintai und den Handelsrat aufeinander hetzen wolle, für unglaubwürdig - auch weil sie Wu nicht so viel Raffinesse zutraute.
Luo traf sich mit der „großen Yia“, einer einflussreichen Bandenchefin der Nezumi (Rattenmenschen) Palitans. Gegen etwas Kintarai-Geld versprich Yia darauf hinzuwirken, dass die Nezumi sich aus dem Konflikt heraushielten.
Luo nahm sich dennoch Zeit für ein persönliches Anliegen und erneuerte sienen Kontakt mit seiner Meisterin Sun Chen und seiner Mitschülerin Sun Lin. Die beiden Kampfkünstlerinnen verdienten momentan vor allem mit Schaukämpfen ihren Unterhalt, da sie nicht als Ausbilder für die Söldnertruppen der Triaden anheuern wollten. Lao erzählte von seinen letzten Erlebnissen Beide waren an den Informationen zu „Vipernzunge“, Luos magischer Klinge interessiert.
Es waren nur noch zwei Tage bis zur Audienz bei Zo Zo, als das Schwertalbenviertel nachts durch Rufe und Lärm aufgeschreckt wurde. Auf der benachbarten Insel war ein Feuer ausgebrochen. Luo fürchtete, jemand könne dies als Ablenkung für einen Angriff benutzen und riet zur Wachsamkeit, doch Ren wollte helfen und machte sich auf den Weg. Als die junge Magierin bei dem teilweise in Flammen stehenden Basaltpalast der Gagamba eintraf, waren bereits zahlreiche Helfer der Triaden beim Löschen. Mithilfe ihrer Magie konnte Ren die Löscharbeiten tatkräftig unterstützen bei der Versorgung der Verwundeten helfen. Sie bekam schnell mit, dass einmal mehr den Kintarai die Schuld gegeben wurde. Einige raunten, ein Feuergeist sei erschienen, andere glaubten, die Schwertalben hätten mittels eines Katapults Brandsätze geschleudert. Ren fand dies lächerlich und beging den Fehler, dies offen zu sagen. Nun wurden Verdächtigungen gegen sie laut, und zwei Schläger zogen ihre Waffen. Ren musste sich wehren sich schließlich verwundet zurückziehen, voller Wut über ihre undankbaren Landsleute.
Es stand zu befürchten, dass der „spontane Volkszorn“ sich auch gegen das Schwertalbenviertel entladen könnte. Generalin Kane und die Botschafterin beschlossen, das Viertel abzuriegeln und Behelfsfeuerwehren und Selbstverteidigungskräfte unauffällig zu mobilisieren. Strittig war, ob man auch die Kastenlosen einbeziehen sollte. Diese arbeiteten im Viertel, durften aber zumeist nicht dort wohnen. Ren war dafür, zumal sie sicher auch Ziel von Angriffen sein würden, sollte es zu einem Pogrom kommen. Sie konnte die zögernde Botschafterin überzeugen, überließ die Verhandlungen aber Luo, der sich weitaus geschickter in Unterschichtskreisen bewegte. Tatsächlich konnte er Kontakt mit dem inoffiziellen Anführer der Kastenlosen knüpfen. Dieser wollte freilich als Gegenleistung für seine Leute Zugang zum Schwertalbenviertel und deutete an, dies würde auch den Werbeversuchen der 13 Blätter unter seinen Leuten den Boden entziehen. Suguri Jun ließ sich aber nur auf eine bessere Finanzierung der Suppenküchen und Schulen für die Kastenlosen und ihre Kinder sowie eine Lockerung der Zugangsbeschränkungen herunterhandeln. Luo aber scheiterte an der Kompromisslosigkeit des Kastenlosenführers Genzo. Dies bestärkte wiederum unweigerlich Suguri Jun in ihren Vorurteilen. Einmal mehr haderten beide Abenteurer mit dem Starrsinn derjenigen, denen sie helfen wollten.
Es war offenkundig, dass die Furcht in der Bevölkerung vor einem Übergriff aus Kintai weiter zugenommen hatte – eine Furcht, die sich auch in destruktive Bahnen lenken ließ.
Ranku Kane war jedoch nicht bereit, die Füße stillzuhalten. So bereitete sich die Gesandtschaft auf ihre Audienz bei Zo Zo vor. Mit den Bediensteten, Soldaten und dem inneren Zirkel der Generalin sowie Vertretern des Schwertalbenviertels würden sicherlich 100 Personen zum Fürstinnenpalast ziehen. Auch die beiden Abenteurer waren eingeladen. Ren trug formelle Kleidung, Luo hingegen seine Rüstung als Teil des Geleitschutzes.
Die Prozession setzte sich am frühen Morgen in Bewegung, um vom Schwertalbenviertel über die Portalinsel zum Porzellanviertel zu ziehen, wo sich der fürstliche Palast befand. Freilich stoppte der Zug bereits nach kurzer Zeit. Mitten auf der Brücke zur Portalinsel stand der Utsuro, und blockierte mit quergehaltenen Stab die Straße. Ranku Kane hätte wohl am liebsten das Hindernis zur Seite schubsen lassen, aber Suguri Jun redete ihr das aus. Die Utsuro waren Wesen, denen die Kintarai mit Vorsicht begegneten. Die reuigen Sünder oder zutiefst gläubigen Untertanen Myurikos hatten ihr Selbst der Göttin geopfert. Viele meinten, dass der Wille der Gottkaiserin sie lenkte. Deshalb erntete Ren besorgte Blicke, als sie spekulierte, ob dies vielleicht ein Zeichen war, dass die Ultimatumsverhandlungen nicht dem Willen des Eisernen Kranich entsprachen. Insgeheim fragte sie sich, ob es eine Warnung vor einem drohenden Angriff war. Auf ihren Vorschlag hin rief jemand die örtliche Hohepriesterin Myurikos, die sich leise mit dem „Entseelten“ unterhielt, worauf dieser schließlich den Weg frei machte.
Schaulustige säumten den Weg, doch waren ihre Blicke oft ablehnend bis feindlich. Ein Kommando der fürstlichen Ehrengarde gab dem Zug das Geleit, doch hielten Ren und Luo nicht viel von diesen „Schausoldaten“.
Der Empfang im Palast war freundlich. Zo Zo behandelte ihre Gäste mit ausgesuchter, wahrscheinlich demonstrativer Höflichkeit und nahm deren Geschenk freundlich entgegen. Nach einer Runde Smalltalk, den Generalin Ranku Kane nicht zu genießen schien, begaben sich die designierte Fürstin, die Generalin und die Botschafterin für weitere Gespräche in den Palastgarten. Die Abenteurer blieben beim Rest der Entourage und wurden von Ma Dao in Beschlag gelegt, der Kommandeurin der persönlichen Leibwache Zo Zos. Der Hof war wegen der Gerüchte über Prinzessin Amuis Streitmacht beunruhigt, und befürchtete, sie könnte diese für Angriffe über den Fluss benutzten. Allerdings konnten die Abenteurer ihr nichts Definitives sagen. Ma Dao legte Ren nahe, sich weiter um eine Aussöhnung zwischen My-Mei und Zo Zo zu bemühen. Ren sagte zu, und Luo warnte die Offizierin vor einem möglichen Angriff. Er hielt es für möglich, dass jemand die Verhandlungen sabotieren wollte. Dies mochten radikale Triadenanhänger sein, eine dritte Partei, welche den Triaden oder Kintai schaden wollte, oder kriegslüsterne Kintarai, die einen Anlass für eine Intervention suchten. Alles in allem dauerte die Audienz einige Stunden, bevor man sich auf den Rückweg machte.
Die Stimmung auf der Straße hatte sich nicht gebessert. Vereinzelt wurden Verwünschungen gegen die „Brandstifter“ laut. Die Bedeckung der Gesandtschaft und die reduzierte Begleitung durch fürstliche Ehrengardisten wirkten angespannt.
Es war Luo, der aus Zufall, Glück oder dank seiner scharfen Sinne bemerkte, wie sich aus der Luke eines hohen Gebäudes der Lauf eines Drachenrohres schob. Luo handelte sofort und brüllte eine Warnung. In der Annahme, dass Ranke Kane das wahrscheinliche Ziel war, riss er die Generalin von ihrem Pferd. Tatsächlich schwenkte der Gewehrlauf zu einem neuen Ziel, dann krachte der Schuss. Ren konnte mit einem Schutzzauber Suguri Juns Verletzung etwas die Wucht nehmen, dennoch ging die Botschafterin zu Boden.
Chaos brach aus. Die sonst so souveräne Generalin vermochte zunächst nicht, ihre Ashigaru in den Griff zu bekommen, die mit der Ehrengarde aneinandergerieten. Zivilisten flüchten, während andere Steine warfen oder sogar Waffen zogen. Luo holte zwei Angreifer von den Beinen, die schnell niedergemacht wurden. Ren wurde leicht verletzt, doch der Kampf endete in dem Moment, in dem sie ihren „Höllenhund“ beschwor.
Schließlich konnte die Generalin die Lage unter Kontrolle bekommen und das Scharmützel zwischen der Ehrengarde und ihren Soldaten beenden. Doch es war bereits Blut geflossen.
Kane rief eilends einige Streiter zurück, die den Attentäter verfolgen wollten – allzu leicht würden diese von der aufgebrachten Menge angegriffen und überwältigt werden. Deshalb hielt sie auch Luos Vorhaben für töricht, den Attentäter zu suchen. Doch getarnt durch seine Schattenmagie konnte er sich ungesehen absetzen. Er kam indes zu spät, den Scharfschützen zu stellen, fand aber das Drachenrohr, das vermutlich als zu schwer und auffällig zurückgeblieben war. Zudem entdeckte er ein Blatt Papier mit einer treffenden Zeichnung von Ranku Kane und Suguri Jun. Beide trugen auf dem Bild die Gewänder, die sie für die Audienz bei Zo Zo gewählt hatten. Vermutlich hatte also jemand im Schwertalbenviertel, auf dem Weg zur Audienz oder im fürstlichen Palast das Bild angefertigt. Luo wartete, bis der Abend heereinbrach, ehe er zum Schwertalbenviertel zurückkehrte.
Der Weg der Gesandtschaft war deutlich aufregender verlaufen. Zwar traute sich kein Angreifer an die kampfbereite Truppe heran, doch Verwünschungen, Steine und sogar Pfeile flogen. Kane hielt ihre Soldaten an der kurzen Leine, nur ihre Leibwächter sandten einige gezielte Pfeile zurück.