Ich kann natürlich keinem Menschen keinen Vorwurf machen, wenn er Themen, die ihm persönlich wichtig sind, auch im Rollenspiel behandelt sehen will. Ich führe Diskussionen zu solcherart Themen schon ausreichend in meinem sonstigen sozialen Umfeld und brauche sie nicht auch noch am Spieltisch, wo ich mich in erster Linie entspannen und einfach eine Runde zocken will, ohne mir groß Gedanken zu machen.
Was meinst du denn mit "solcherart Themen"?
Themen mit großem Streit-Potenzial, deren Diskussion am Spieltisch das Spielgeschehen nicht weiterbringt.
Aber dennoch kann man diese Themen gut am Spieltisch reflektieren.
Ich persönlich finde dieses Thema als Element des menschlichen Zusammenlebens fasznierend. Welche, der modernen Ethik widersprechenden Positionen kann ein Held am Spieltisch vertreten, ohne dass man das menschliche Zusammenleben unmöglich machen würde?
Spontan fallen mir da Sklaverei, Rassismus und Sexismus ein.
Und jetzt kommen wir zum Punkt, warum ich aktuell gerne (cross-gender) Frauen spiele: Ich möchte gerne den impliziten Nachteil des Sexismus mitnehmen. Ich habe beispielsweise bis vor wenigen Monaten in Pathfinder eine schwangere Frau gespielt. In der HG ist sie aus ihrem Heimatdorf abgehauen, weil sie wohl wegen ihres Fehltrittes dem Hohn und Spot der Dorfbevölkerung ausgesetzt worden wäre und sie sich das nicht antun wollte. Und in der HG wurde auch ganz klar gemacht, dass man hierbei bei den jungen Männern darüber hinweggesehen hat. Der Begriff slut-shaming war mir zwar nicht bekannt, aber ich habe bewusst eine mir selber aufgefallenene Ungerechtigkeit eingebaut.
Und auch aktuell habe ich eine Runde, in der ich eine junge Frau in einem patriarchalisch strukturiertem Dorf spiele. Interessant ist dabei ihr Vater. Solange ihr Aussehen gutes Geld in die Kasse (als Bedienung im Wirtshaus) spült, ist alles gut. Nur darf sie es sich nicht erdreisten, vor einer für die Familie günstigen Verlobung Sex zu haben. Auch wenn er sie mag, so hat sie später doch dafür zu sorgen, für eine gute Verbindung zu sorgen. Ausserdem ist sie als Tochter des Hauses mit für den Haushalt zuständig. Ihr Bruder dagegen hat aber jegliche Freiheiten.
Nein, ich denke nicht, dass man slut-shaming wie auch andere Formen im Rollenspiel tabuisieren sollte. Es sollte eher herausgestellt und offensichtlich gemacht werden. Und, weil mir das einmal vorgeworfen wurde: Ich verharmlose Sexismus mit Sicherheit nicht. Oft genug schäme ich mich für die Doppelmoral meiner Kollegen. Es scheint das normalste zu sein, mal eben einmal im Monat in den Pascha (Ein bekanntes Bordell in Köln) zu gehen, während man von den eigenen Frauen erwartet, dass diese treu sind oder über einer ehemaligen Kollegin wegen ihrer sexuellen Aktivität herzieht. Und ja, nachdem ich mich für das Rollenspiel ein wenig mehr damit auseinander gesetzt habe, bin ich in genau diesem Bereich wachsamer geworden.