In Splittermond ist nicht alles schlecht. Das Spielsystem hat einige gute Ideen, das Layout der Bücher ist sehr ansprechend, und die Ausarbeitung der Welt ist detailliert. Insbesondere erlaubt das System der Meisterschaften einen hohen Grad der Individualisierung der Helden. All das ist sehr gut bis herausragend. Dennoch hat das System einige gravierende intrinsische Schwächen über die man auch nac 3 jähriger Spielzeit kaum hinwegsehen kann.
Ich schreibe dies hier nicht um als Fanboy das alternative System X-Y zu loben was ja sooo viel besser ist, nein, ich mache mir hier einige ganze Stange voll Mühe meine Kritikpunkte zu formulieren. Daher gleich vorweg, jeder der sich in der Verantwortung sieht Splittermond hier gegen jedwede Kritik zu verteidigen sei es mit „du hast ja noch nicht lang genug gespielt“, oder „das dient der Balance, dann ist es irrelevant dass es in der Spielwelt keinen Sinn macht“ der kann sich seine Mühe sparen.
Inkonsistente Regeln / Unerwartete Extraregeln
An vielen Stellen gibt es spezielle Regeln, welche man so nicht erwartet. Das macht das ganze weniger intuitiv, und bläht das Regelwerk unnötig auf. Hier ein repräsentatives Beispiel bezüglich des Patzens:
- Wenn man beim Zaubern patzt, dann gibt es eine Patzertabelle, welche davon beeinflusst wird was man probiert hat, und wie sehr man es versaut hat. Im konventionellen Kampf hingegen ist die Patzertabelle nur ein zufälliger Würfelwurf, unabhängig von der verpatzten Aktion.
- Bei Fähigkeiten gibt es dann so gar keine Patzer im eigentlichen Sinne, nur noch verheerende Auswirkungen. Aber schon in niedriger Stufe schafft man es allermeist mit nem gewürfelten Patzer sich noch -4 EG zu retten um von den verehrenden Auswirkungen wegzukommen, womit natürlich eine Flut an Risikowürfen einsetzt.
- Bei aktiver Abwehr wird es dann komplett messed up. Im Gegensatz zu mit einer Waffe/Schild abzuwehren gibt es mit Akrobatik ausweichen beim Patzer keinen Wurf auf einer Patzertabelle. Daher gibt es eine (surprise) Extraregel dass beim verheerenden Misserfolg über ausweichen es 2D6 Schaden + liegend gibt. Das ist aber im Durchschnitt schlimmer als auf der Kampf-Patzertabelle würfeln. Aber das macht nichts, sobald ein Charakter einen Akrobatik-Wert von 10 hat (was nun wirklich nicht schwer ist) schafft er ja schlimmstenfalls 10+2=12 = -1EG minus 3EG zusätzlich = -4EG, d.h. kein verehrender Misserfolg. Das bedeutet wer ab Akrobatik 10 ohne Risikowurf ausweicht ist selber schuld.
(PS: GWR 138: „Durch eine Aktive Abwehr kann nie ein Wurf auf eine Patzertabelle erzwungen werden“…. Um dann auf der nächsten Spalte zu lesen „Nahkampffertigkeit: Die Aktive Abwehr misslingt nicht nur, darüber hinaus muss auf der Patzertabelle (S. 172) gewürfelt werden.“. Das ganze wird dann in den Erratas gleich wieder relativiert, dass man über Nahkampf/Parierwaffe dann doch nicht auf der Patzertabelle würfeln muss. Hallo risikolose Risikowürfe bis zum Abwinken. Wo ist da jetzt der rote Faden, Patzertabelle ja, nein, vielleicht?)
Unnötige Komplexität / Unelegante Regeln / Eineindeutige Regeln
- Das Lichtsystem ist eh schon komplett unphysikalisch, unlogisch, nicht hilfreich für den Spielfluss, aber das ist eine andere Baustelle. Also als der Spruch „Blenden“ sich als zu stark herausstellte wurde er im Errata vom Lichtsystem abgekoppelt und Extraregeln eingeführt, Juhuuu, es gibt ja noch nicht genug Extraregeln.
- Und bezüglich des Clustervucks der Regeln von Ausweichen (mit Errata und Errata zum Errata) frag ich mich immer warum man das alles nicht einfach durch „VTD+ über Ausweichen ist nicht kumulativ mit VTD+ durch Rüstung“ abhandeln kann. Macht dies einen nennenswerten Unterschied im Vergleich zu den jetzigen seitenlangen Ausführungen zu der Meisterschaft?
- Ein Rattling kann ohne Probleme einen Bären „Umreißen“, aber ein Alligator kann keinen anderen Alligator umreißen, denn der hat GK>7. Da hat man einfach einen festen Grenzwert gesetzt der null Sinn in der Logik der Spielwelt macht.
- Kann man jetzt durch eine Zone der Dunkelheit hindurchsehen, wenn‘s dahinter hell ist oder nicht? Wenn ich durchsehen kann, kann ich dann nicht die Leute in der Zone der Dunkelheit sehen wie sie sich vom hellen Hintergrund abheben?
- Ein Holzlöffel Qualität +4 (für +2 auf Kochen) kostet +/-25% so viel wie eine super-Bling Plattenrüstung der Qualität +4.
- Man hat jetzt Trefferpunkte. Die kann man über Heiltränke und Zauber heilen. Dann gibt es noch Zustand Sterbend. Nach nicht allzu langer Zeit haben Spieler dann gelernt wie man Sterbend effizient mit Heilkunde wieder weg macht. Damit ist auch der tot-geprügelste Spieler 10 Minuten nach dem Kampf wieder topfrisch. Also muss man noch den Zustand Siechend einführen um irgendeine regeltechnische Art zu haben um einen Spieler temporär storytechnisch auszuschalten. Elegante Regeln sehen anders aus. Und dann hat man noch die Zustände Verwundet und Erschöpft die regeltechnisch (Malus auf Aktionen) praktisch das gleiche machen.
Wasch mich aber mach mich nicht nass / Spieleroptimierung / Einheitsbrei
Die große Anzahl der möglichen Optionen öffnet natürlich Spieleroptimierung Tür und Tor. Oftmals führt dies jedoch gerade nicht zu einer Diversifizierung der Spielercharaktere, sondern genau erst zu einem Einheitsbrei. Denn die Diversität von Spielercharakteren wird durch das Abwägen von Vor- und Nachteilen der verschiedenen Optionen getrieben.
Oftmals gibt es aber überhaupt keine Nachteile, oder die regeltechnischen Nachteile lässt sich durch die Kombination verschiedener Verbesserungen komplett eliminieren. Praktische Beispiele:
- Jeder Spieler rennt immer und überall mit einer ziemlich schweren Rüstung rum. Mit Fähigkeiten + Gegenstandsqualität + Anpassung kann man die Behinderung und den Tick-Zuschlag auf praktisch 0 drücken. Damit trägt nicht nur der Ritter eine Schuppen/Plattenrüstung sondern auch der Zauberer, der Dieb, der Waldläufer und der Seemann, die Rüstungen stören ja weder beim Schwimmen, Zaubern, Klettern oder Schleichen.
- Jeder Spieler der früh aufsteht zaubert sich erst mal ne Steinhaut oder ähnliches drauf. Schließlich macht es in Splittermond der Jungfrau die man in einer romantischen Vollmondnacht bei Mondschein mit lieblichen Minnesang umschmeichelt nichts aus, dass man dabei mit aktiver Steinhaut aussieht wie The Thing von den fantstic four….
Zu wenig Schaden
Ja, es ist ein Problem dass insgesamt zu wenig Schaden angerichtet wird.
- Jeder Spieler rennt üblicherweise mit schwerer Rüstung + Hautzauber rum, und ist damit schon mal über die Schadensreduktion praktisch immun gegen kleine Waffen wie Dolche. Als Spielleiter muss man damit ja Gegner mit Einhandwaffen oder kleine Monster praktisch erst gar nicht schicken.
- Als Spieler ist es praktisch nicht möglich einen Gegner unauffällig aus dem Weg zu meucheln. Selbst wenn der Top-Assassin von hinten mit Überraschungsangriff III einem den Dolch in den Rücken stößt gibt das (wenn er trifft) 1W6+11 Schaden. Das bringt nicht mal einen durchschnittlichen Startcharakter um. Vielleicht hat man dann ein oder gar zweimal die Chance normal zuzustechen (je nach initiative), bis der Gegner dran ist, aber auch 3x(1D6+1)+10 sind nicht so der Bringer. Und wenn das Opfer dann dran ist ruft der nach seinen 20 Mann Verstärkung ….
Ja noch nicht einmal vorrauseilender ein Stille-spruch macht das nennenswert besser, macht die Stille ja nur leiser, nicht still. Und wenn das Opfer jetzt noch eine Rüstung mit viel SR trägt kann man das er-meucheln gleich ganz vergessen.
Offensichtliche Game-Breaks
Tja was kommt denn da so beispielhaft vor (nicht erschöpfend)
- Der Dunkelheitszauberer der auf sich selber eine (verbesserte) Dunkelheit mit 1m Radius spricht (natürlich mit Meisterschaft Schattenherr). Da er selber in der Dunkelheit steht, die Gegner aber draußen, wirkt dies wie ein +9 Bonus auf seine VTD, was natürlich an dem entsprechenden Level-Cap für Verbesserungen vorbei funktioniert, es ist ja ein Malus für den anderen, kein Bonus.
- Der Startspieler-Waldläufer der einen Kampfstab Qualität 2 (+1 Defensiv) hat, 12 Punkte in Stangenwaffen und die Meisterschaft Verteidiger. Der verbessert über seine aktive Abwehr die VTD aller Spielercharaktere in 2 Felder Radius um durchschnittlich 5 Punkte. Natürlich zusätzlich zu den Zauber und den Rüstungen der Spielercharaktere. Der Bonus aus aktiver Abwehr läuft natürlich außerhalb der maximalen Bonus-Limitation, ist ja keine Ausrüstung oder Zauber.
- Furcht + Blenden spammen….
Und sobald einer der Spieler anfängt solche Sachen auszunutzen, dann muss man größere Monster schicken dass es noch halbwegs spanend bleibt, und dann müssen die anderen Spieler auch regel-min-maxen…..
Spielfluss – Der größte Nachteil
Die große Anzahl an Fähigkeiten, Meisterschaften und Extraregeln, zusammen mit den vielen Trefferpunkten und dazu relativ geringen Schaden erschweren den Spielfluss und verlängern insbesondere den Kampf ungemein. Es ist praktisch nicht möglich die Spielergruppe mit einer großen Anzahl an kleinen Gegnern (20 Rattlinge) anzugreifen. Selbst eine 5-spieler Gruppe mit 5 Gegnern anzugreifen artet schnell in eine nicht-enden-wollende Würfel/Rechenorgie aus. Ein Encounter der in mehr gestreamlineten Rollenspielen 10 min dauert (z.B. 40 Jahre alte Vertreter der Zunft), das dauert in Splittermond schnell den ganzen Spielabend.
Es ist ja schön einen finalen Bosskampf mit aller taktischer Tiefe auszuwalzen. Aber mal schnell einen Kampf zur Auflockerung des Spieleabends kann man praktisch vergessen. Das limitiert die Möglichkeiten des Spielleiters schon ziemlich.
Splittermond macht immer den Eindruck dass es kein Rollenspiel werden wollte, sondern ein Tabletop Strategiespiel a-la Warhammer.
Ich frag mich da immer, bevor man alles in dem Spiel durch 3 teilt, hätte man nicht einfach statt 2D10 auf 2D4 würfeln umstellen und auf das dritteln verzichten können? Was hätte man dadurch an Spieltiefe verloren?
In Deutschland gibt es die Tradition des überkomplexen Rollenspieles (inclusive des der drei Buchstaben) aber nicht jeder ist damit glücklich.
Ich bin es nicht....