Autor Thema: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?  (Gelesen 21503 mal)

Weltengeist

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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #15 am: 24 Apr 2015, 17:48:43 »
Ich hab kein Problem damit, wenn es jemand anders macht, aber ich bin ein klarer Verfechter von "Story (und Logik) über Regeln". Meine Hauptgründe dafür:

(1) Ich möchte in keinem Fall, dass meine Spieler all das nicht dürfen, was nicht in den Regeln steht. Und egal wie gut ein Regelwerk ist, irgendwas fehlt ja doch immer. Für mich hat Rollenspiel viel mit Kreativität zu tun, und wenn ich die Wahl habe zwischen einer coolen Idee und einer konsequenten Regelauslegung, nehme ich die Idee.

EDIT: Außerdem spiele ich als Spieler doch kein Rollenspiel, damit mein Charakter (womöglich gar ein Splitterträger!) am Ende weniger drauf hat als ich selbst. Ich bin IRL sicher nicht die Supersportskanone, aber mein Wort drauf - wenn ich jemandem voll zwischen die Beine trete, dann bleibt der erstmal liegen. Und wenn ich jemanden in einen Haltegriff kriege (ich hab mal eine Zeitlang Kampfsport gemacht), dann kommt der da auch nach 15 Minuten noch nicht raus, wenn ich ihn nicht lasse. Und so weiter. Wenn mir jetzt ein Spielleiter sagen würde: "Schön, dass DU das kannst, aber dein Recke vom Wächterbund kann das leider nicht, weil es nicht in den Regeln steht", dann würde ich mir veralbert vorkommen.

(2) Ich lege Wert darauf, dass die Spielwelt eine innere Logik besitzt. Zumindest ich kann mir aber die innere Logik einer Welt, deren Naturgesetze durch 200 Seiten Regeln vollständig beschrieben werden, gar nicht vorstellen. Wenn ich das Dolchbeispiel nehme und sage: "In Splittermond kann man nicht sterben, wenn einem von ungeübter Hand die Kehle durchgeschnitten wird", dann müsste ich das erstmal konsequent zu Ende denken. Ich müsste Fragen beantworten wie: Warum ist das so (Gummidolche? Menschen haben eine ganz andere Anatomie? Magie? göttliche Fügung)? Und schlimmer noch: Was bedeutet das dann an anderer Stelle? Als Spielleiter müsste ich bei der Entwicklung eines Plots an jeder Stelle darauf achten, dass alles was dort geschieht (oder in der Vergangenheit geschehen ist) stets im Einklang mit Regeln steht, die möglicherweise unserer realen Erfahrung widersprechen. Und zumindest ich bin damit, mir diese andere (regelbasierte) Welt konsistent vorzustellen, hoffnungslos überfordert - ich brauche (als Spieler wie als Spielleiter) den Anker meiner realen Erfahrung, um halbwegs plausible Geschichten zu erzählen.

Nehmen wir mal das Beispiel eines Krimis. Ich würde als Spielleiter ganz arglos eine Ausgangssituation konstruieren, wo der Hausherr tot im Bad liegt. Angedacht ist eine typische Dreiecksgeschichte mit abschließendem Eifersuchtsmord. Und jetzt kommen die Spieler her und fangen an, das Ganze aus Regelsicht zu durchleuchten. Die Heilkunde-Probe ergibt: Jemand hat dem Opfer mit einem schweren Gegenstand den Schädel eingeschlagen. Weitere Verletzungen und Vorerkrankungen gibt es nicht. Die Ehefrau, das Hausmädchen und der Butler kommen somit für die Spieler gleich nicht mehr in Frage, weil die das laut Regelbuch schlicht nicht könnten. Stattdessen MUSS der Mord zwingend entweder von einem Monster oder jemandem mit der Meisterschaft "Überraschungsangriff II" begangen worden sein. Und da geht er hin, der Krimiplot - im Grunde können wir den an dieser Stelle die Geschichte abbrechen...

Zum Glück habe ich das in der Form aber auch noch nie erlebt. Eigentlich wissen alle, dass die Regeln nur eine Annäherung sind, die nie zu 100% realistisch sein kann. Von daher habe ich damit in der Praxis auch noch nie ein echtes Problem gehabt.
« Letzte Änderung: 24 Apr 2015, 18:03:56 von Weltengeist »

Yinan

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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #16 am: 24 Apr 2015, 18:04:33 »
Naja, wenn man einen Krimiplot sich überlegt und von Anfang an nicht auf die Regeln dabei achtet, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn der Plot flöten geht, wenn die Spieler mit den Regeln da ran gehen.

Hier wäre wohl eine Vergiftung wesentlich sinnvoller gewesen, denn ein tödliches Gift (oder vlt. sogar eine Kombination aus mehreren Giften) die Frau, die Haushälterin, der Gärtner etc. pp. auch irgendwie bekommen haben und dem Hausherren untergejubelt haben.
Und das passt auch komplett mit den Regeln (zumal viele Gifte ja auch erst später ihre Wirkung entfalten und nicht sofortig), so das wieder jede Person der mögliche Täter sein kann.

Zu Punkt 1 von dir muss ich sagen, das ich mich weiter verwundert das hier immer wieder von "Regeln nicht vorhanden" geredet wird, das aber auch niemals als Problem dargestellt wurde. Wenn etwas keine Regeln hat, dann muss man sich da natürlich was ausdenken. Das Problem ist halt, das wenn man etwas macht, wo die Regeln klar sagen, das dies so nicht geht (wie z.B. bei dem Dolch, der einfach nur 1W6+1 Schaden macht und selbst gut gearbeitet nicht sofortig töten kann).
Es wurde ja auch niemals damit Argumentiert, dass man dann Dinge, die in den Regeln nicht erwähnt werden, nicht machen kann. Für alle Seiten ist klar, dass das Regelwerk nicht alle Dinge komplett abdecken kann und da ist es ganz normal (auch für die Regeln > Geschichte Seite), das man sich dann was neues ausdenkt.

Zumindest mir geht es nur um die "Die Regeln sagen explizit was anderes" Situation.


Aber ich kann natürlich verstehen, das man bei sowas eher zögert, weil man sich damit überfordert fühlen kann, das man sich die Welt nicht konsistent vorstellen kann, wenn man sie von der Regelbasis sieht und nicht von unserer Realität ableitet.
Wenn nicht anders gesagt, dann befassen sich meine Aussagen zu Regeln niemals mit Realismus oder Simulationismus, sondern nur mit Balancing.
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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #17 am: 24 Apr 2015, 18:30:22 »
Ich halte es da mit Herrn Unteregger: Ein Abenteuer, das nur funktioniert, indem es Regeln ignoriert, ist kein gutes Abenteuer (analoges gilt natürlich auch für hintergrundignorierende Abenteuer).

Dabei gestehe ich allerdings zu, dass es einzelne Regeln gibt, die nicht die lorakische Wirklichkeit abbilden sollen, sondern lediglich dem Balancing dienen - zum Beispiel die Unmöglichkeit, jemanden mit einem einzelnen Schwertstreich in lebensbedrohliche Gesundheitszustände zu bewegen, oder die Generierungs- und Steigerungsregeln für Helden, die nicht den Lernprozess aller lorakischen NSCs abbilden sollen.

Dinge wie der halbtote Bote, der noch dramatische letzte Worte aushaucht, bevor er unabänderlich sterben muss, sind allerdings einfach schlechtes Design. (Wobei SpliMo ja tatsächlich diesbezüglich dramafreundlicher ist als etliche andere Rollenspiele, da man zumindest gleichzeitig sterbend und bei Bewusstsein sein kann.)

Yinan

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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #18 am: 24 Apr 2015, 19:35:43 »
EDIT: Außerdem spiele ich als Spieler doch kein Rollenspiel, damit mein Charakter (womöglich gar ein Splitterträger!) am Ende weniger drauf hat als ich selbst. Ich bin IRL sicher nicht die Supersportskanone, aber mein Wort drauf - wenn ich jemandem voll zwischen die Beine trete, dann bleibt der erstmal liegen. Und wenn ich jemanden in einen Haltegriff kriege (ich hab mal eine Zeitlang Kampfsport gemacht), dann kommt der da auch nach 15 Minuten noch nicht raus, wenn ich ihn nicht lasse. Und so weiter. Wenn mir jetzt ein Spielleiter sagen würde: "Schön, dass DU das kannst, aber dein Recke vom Wächterbund kann das leider nicht, weil es nicht in den Regeln steht", dann würde ich mir veralbert vorkommen.
Zu letzterem:
Kannst du ja auch, wenn du dir passende Meisterschaften holst und Handgemenge beherrschst. Das wird von den Regeln komplett unterstützt.

Zu ersterem muss ich sagen, das du da halt stark in die Hausregelschiene gehst und das in eine Richtung, die ich für mich und meine Runde nicht akzeptabel finden würde, weil du einfach 1-hit-kos hier einführst. Ich würde nicht wollen, das mein Kämpfer, bei voller Gesundheit, mit einem Tritt aus dem Kampf genommen wird. Dementsprechend erwarte ich auch nicht, das ich das mit anderen machen kann.

Wenn man halt anfängt, die regeln komplett zu ignorieren, dann geht halt die interne Konsistenz des Systems flöten und alles Balancing, was die Autoren betrieben haben, ist dann für die Katz gewesen...
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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #19 am: 24 Apr 2015, 21:08:59 »
Nehmen wir mal das Beispiel eines Krimis. Ich würde als Spielleiter ganz arglos eine Ausgangssituation konstruieren, wo der Hausherr tot im Bad liegt. Angedacht ist eine typische Dreiecksgeschichte mit abschließendem Eifersuchtsmord. Und jetzt kommen die Spieler her und fangen an, das Ganze aus Regelsicht zu durchleuchten. Die Heilkunde-Probe ergibt: Jemand hat dem Opfer mit einem schweren Gegenstand den Schädel eingeschlagen. Weitere Verletzungen und Vorerkrankungen gibt es nicht. Die Ehefrau, das Hausmädchen und der Butler kommen somit für die Spieler gleich nicht mehr in Frage, weil die das laut Regelbuch schlicht nicht könnten. Stattdessen MUSS der Mord zwingend entweder von einem Monster oder jemandem mit der Meisterschaft "Überraschungsangriff II" begangen worden sein. Und da geht er hin, der Krimiplot - im Grunde können wir den an dieser Stelle die Geschichte abbrechen...

Simple Antwort: denk dir einen besseren Plot aus. Klingt natürlich hart, ist auch hart, aber funktioniert eigentlich sehr gut. Dann kann man halt mal nicht die klassischen Krimi-Klischees bedienen (dafür gibt es andere Systeme), sondern muss sich eine wirklich kreative Geschichte ausdenken. Dann war der Butler im geheimen auch der Leibwächter des Ermordeten, die Ehefrau kennt sich exelent mit Giften aus und könnte damit ihren Ehemann vor dem Mord geschwächt haben* und das Hausmädchen ist eine gesuchte Verbrecherin, die hier unter falschem Namen untergetaucht ist. Klar, das wird dann ein härterer Krimi und keine gemütlich-schrullige Miss Marple-Folge, aber für letzteres gibt es wie gesagt andere Systeme, die das viel besser können. :)


*Ich habe mir bisher noch nicht die Splittermondregeln zu Giften & Co. durchgelesen, könnte also sein, dass das nicht funktioniert. Aber dann weicht man vielleicht auf Magie aus; die gehört zum System ja sowieso dazu. :)
« Letzte Änderung: 24 Apr 2015, 21:14:11 von Jeong Jeong »

Yinan

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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #20 am: 24 Apr 2015, 21:25:55 »
Geht mit Königsblut (Stufe 5 Gift, verursacht nach 5 Ticks den Zustand Sterbend 3 und hält 120 Ticks an) oder auch der Rosentrunk (Stufe 3 Gift, verursacht nach 5 Ticks den Zustand Schalfend und hält 6 Stunden).

Beides sind Einnahmegifte. Bei ersterem Stirbt er schlichtweg nach kurzer Zeit. Bei letzterem, z.B. ein Glas Champagner in der Badewanne oder so wo der Rosentrunk reingemischt wurde, und schon schläft er ein, kommt damit vlt. auch gleich unter Wasser (ansonsten kann man da auch etwas nachhelfen) und erstickt dann nach kurzer Zeit.

Also mit Giften ist das recht gut möglich.
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Loki

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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #21 am: 24 Apr 2015, 21:31:13 »
Nehmen wir mal das Beispiel eines Krimis. Ich würde als Spielleiter ganz arglos eine Ausgangssituation konstruieren, wo der Hausherr tot im Bad liegt. Angedacht ist eine typische Dreiecksgeschichte mit abschließendem Eifersuchtsmord. Und jetzt kommen die Spieler her und fangen an, das Ganze aus Regelsicht zu durchleuchten. Die Heilkunde-Probe ergibt: Jemand hat dem Opfer mit einem schweren Gegenstand den Schädel eingeschlagen. Weitere Verletzungen und Vorerkrankungen gibt es nicht. Die Ehefrau, das Hausmädchen und der Butler kommen somit für die Spieler gleich nicht mehr in Frage, weil die das laut Regelbuch schlicht nicht könnten. Stattdessen MUSS der Mord zwingend entweder von einem Monster oder jemandem mit der Meisterschaft "Überraschungsangriff II" begangen worden sein. Und da geht er hin, der Krimiplot - im Grunde können wir den an dieser Stelle die Geschichte abbrechen...

Simple Antwort: denk dir einen besseren Plot aus. Klingt natürlich hart, ist auch hart, aber funktioniert eigentlich sehr gut. Dann kann man halt mal nicht die klassischen Krimi-Klischees bedienen (dafür gibt es andere Systeme), sondern muss sich eine wirklich kreative Geschichte ausdenken.

Die Behauptung, Splittermond könne keine klassischen Krimi-Klischees bedienen, gepaart mit der (für mich recht herablassend klingenden) implizierten Behauptung, Krimi-Klischees könnten keine kreativen Geschichten erzählen, halte ich gelinde gesagt für recht vermessen, man könnte an dieser Stelle aber auch "charakteristisch" oder "vielsagend" schreiben.

Die Grundfrage ist eben genau diese: Dürfen die Regeln einer guten Geschichte im Weg stehen, zum Beispiel weil eine schwächliche Ehefrau ihren betrügerischen Ehemann nicht mit einem schweren Gegenstand töten kann (kann sie sehr wohl, auch nach Splittermondregeln, sie muss nur häufig genug zuschlagen... wahrscheinlich so 20 mal, aber möglich ist es) oder dürfen sie es nicht, dann ist es auch kein Problem, dass der Charakter die unaufmerksame Wache mit einem gezielten Schlag ins Reich der Träume schickt, oder mit einem gezielten Dolchstoß aus dem Leben scheiden lässt.

Hier gibt es unterschiedliche Meinungen, verknüpft mit Spielvorstellungen, hier kann man endlos diskutieren, wird sich aber bestimmt nicht einig. Genauso gut könnte man darüber streiten, ob man das Fleisch jetzt vor oder nach dem Anbraten würzt oder ob die Wirkung von Bachblüten therapeutisch signifikant ist oder nicht.

Von mir noch ein paar abschließende Kommentare:

Zitat
Dann war der Butler im geheimen auch der Leibwächter des Ermordeten

=> Slapstick

Zitat
, die Ehefrau kennt sich exelent mit Giften aus und könnte damit ihren Ehemann vor dem Mord geschwächt haben*

=> Das ist absolut das selbe Klischee

Zitat
und das Hausmädchen ist eine gesuchte Verbrecherin, die hier unter falschem Namen untergetaucht ist.


=> Das ändert nichts. Ob sie nun Hiebwaffen 0 oder 9 hat, das Schadenspotenzial erhöht sich dadurch nicht in einem solchen Rahmen, der einen OneHit möglich macht.

Zitat
Klar, das wird dann ein härterer Krimi und keine gemütlich-schrullige Miss Marple-Folge, aber für letzteres gibt es wie gesagt andere Systeme, die das viel besser können. :)

Wenn mich meine Rollenspielerfahrung eines gelehrt hat, dann: Du kannst mit jedem System alles spielen. Und ich bin sicher, dir ist auch klar, dass eine Ehefrau, die ihren Ehemann entgegen aller regeltechnischen Wahrscheinlichkeit mit einem schweren Gegenstand ermordet kein Vergleich ist zu den Dingen, die Rollenspieler aus den tiefsten Windungen ihres Hirns hervorkramen können.

Ich frage mich als Spieler lieber, was mein Charakter in einer gegebenen Situation tun kann und weniger, wie es regeltechnisch dazu gekommen sein mag.

LG
« Letzte Änderung: 24 Apr 2015, 21:33:45 von Loki »
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Horus

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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #22 am: 24 Apr 2015, 21:55:15 »
Die Frage ist doch immer, welchen Sinn hat eine Regel. Warum wurde sie so konstruiert, wie sie in den Büchern steht. Bei Kampfregeln, und damit Waffenschaden, geht es immer nur um das Balancing "Spieler vs. Umwelt".

Ja, ich kann mehr an Abwechselung reiche und teils bessere Geschichten erzählen, wenn ich mich durch die vermeintliche Logik des Regelkorsetts nicht komplett einschnüren lasse. Hier ist vor allem Fingerspitzengefühl gefragt, welche Regeln Naturgesetze darstellen (Magie muss Fokus haben), und welche nur bequemliches Balancing (Waffenschaden im Kampf) sind. Und sogar, welche Naturgesetze sich von unserer Welt unterscheiden, obwohl es dazu keine Regeln gibt, sondern schlicht innerweltlicher Fakt ist *.

Vielleicht wurde der im Beispiel genannte Mann ja im Affekt erschlagen, und nicht hinterhältig mit Gift ermordet. Damit unterscheidet sich die Geschichte und die Charakterisierung der Figuren. Man kann eine ganz andere Form von Drama erzeugen ("Das hatte ich doch nicht gewollt, ich habe ihn doch geliebt"). Man könnte sogar weitergehen: der Mann wurde gar nicht erschlagen. Er hatte sich vor drei Tagen den Kopf gestoßen und starb am Blutgerinnsel in der heißen Wanne. Die Spieler jagen einen Mörder, der nicht existiert, nur um dadurch auf eine ganz andere Bedrohung zu treffen. Was bedeuten all die verschlüsselten Briefe im Geheimversteck des Schreibtischs?

Ein anderes Beispiel aus einem gerade geplanten Abenteuer:
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

* Ein gutes Beispiel wäre eine andere Physik, wie sie (imho) zB in DSA existiert. Atome in der Welt bestehen nicht aus den uns bekannten Bausteinen (Elektronen, Protonen, Neutronen), sondern in einem direkteren Sinne aus Elementarteilchen (Erde, Feuer, Wasser) in unterschiedlicher Konzentration. Deshalb gibt es auch keine klassische Elektrizität und ein Spieler kann niemals den Dynamo in der Welt erfinden und einführen.
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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #23 am: 24 Apr 2015, 22:17:48 »
Die Behauptung, Splittermond könne keine klassischen Krimi-Klischees bedienen, gepaart mit der (für mich recht herablassend klingenden) implizierten Behauptung, Krimi-Klischees könnten keine kreativen Geschichten erzählen, halte ich gelinde gesagt für recht vermessen, man könnte an dieser Stelle aber auch "charakteristisch" oder "vielsagend" schreiben.

Komm Loki, ist gut. ;) Ich habe ja gesagt, dass das hart formuliert ist und vielleicht auch zu hart, aber die Konstellation war dann doch etwas sehr kitschig und solche klassischen Krimis habe ich sowieso gefressen. ;) Aber es war nur ein Beispiel von Weltengeist, da hätte ich vielleicht weniger kritisch sein müssen.


Die Grundfrage ist eben genau diese: Dürfen die Regeln einer guten Geschichte im Weg stehen, zum Beispiel weil eine schwächliche Ehefrau ihren betrügerischen Ehemann nicht mit einem schweren Gegenstand töten kann (kann sie sehr wohl, auch nach Splittermondregeln, sie muss nur häufig genug zuschlagen... wahrscheinlich so 20 mal, aber möglich ist es)

Das ist ja genau das, was ich meine: das meiste geht auch mit den Regeln. Es wird dann vielleicht wie in diesem Beispiel brutaler, kann aber immer noch im Affekt passiert sein (das auch gleich als Antwort auf Horus Beitrag). Eigentlich verhindern die Regeln nur in sehr wenigen Fällen einen Plot wirklich vollkommen. Meistens muss man nur etwas um die Ecke denken und dann kommt ganz schnell auch eine interessante Abwandlung eines eigentlich recht typischen Plots bei raus. :)


Zitat
Dann war der Butler im geheimen auch der Leibwächter des Ermordeten

=> Slapstick

Das musst du mir mal erklären. Walter Cumm Doilish ist ja wohl der coolste Charakter in Hellsing und Käpt'n Black ist mir bei One Piece auch immer noch in guter Erinnerung. Und Alfred ist aktuell in Gotham einfach nur der Hammer! Aber Slapstick ist keiner von den Dreien auch nur Ansatzweise. Allerdings fällt mir dabei auf, dass der als Butler getarnte Leibwächter fast ein genauso großes Klischee ist, wie die von mir kritisierten. ^^


=> Das ändert nichts. Ob sie nun Hiebwaffen 0 oder 9 hat, das Schadenspotenzial erhöht sich dadurch nicht in einem solchen Rahmen, der einen OneHit möglich macht.

Es ging ja darum, ob jemand überhaupt theoretisch als Mörder in Betracht kommt, u.a. weil er "Überraschungsangriff II" hat bzw. nicht hat.


Zitat
Klar, das wird dann ein härterer Krimi und keine gemütlich-schrullige Miss Marple-Folge, aber für letzteres gibt es wie gesagt andere Systeme, die das viel besser können. :)

Wenn mich meine Rollenspielerfahrung eines gelehrt hat, dann: Du kannst mit jedem System alles spielen.

Ja, aber du kannst mit manchen Systemen manche Dinge besser spielen, als mit anderen. Nicht anderes habe ich gesagt. ;)


Ich frage mich als Spieler lieber, was mein Charakter in einer gegebenen Situation tun kann und weniger, wie es regeltechnisch dazu gekommen sein mag.

Ich kann da beides miteinander verbinden. Ich denke darüber nach, worauf mein Charakter jetzt kommen und was er machen könnte. Denke dabei aber gleichzeitig immer im Rahmen der Regeln. Dafür sind auch keine Gehirnverrenkungen nötig, das geht eigentlich ganz einfach. :)

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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #24 am: 24 Apr 2015, 22:37:05 »
Okay, damit ist die Streitfrage hier eher: Darf ich einen NPC vor den Augen der Gruppe einfach töten, ohne das diese etwas dagegen tun können? Das hat mit Regeln erstmal gar nichts zu tun, sondern viel mehr mit der Art der Geschichte, die man gerne in der Gruppe erleben möchte.

Einen Spieler von einem Versuch auszuschließen, die Geschichte zu beeinflussen, halte ich für schlechten Stil. Wenn jemand die Möglichkeit hat, einzugreifen, dann darf er es auch versuchen. Ich halte nichts von vor allem längeren "gescripteten" Events, in dem die Spieler zum Stillhalten verurteilt sind. Deshalb leite ich auch ungerne viele vorgefertigte Abenteuer, weil darin ganze Passagen über das Ableben eines NPCs stehen, denen man dann als Zuhörer folgen soll...

Ich stelle mal die Behauptung auf, gerade weil ich nicht auf die Regeln aus reinem Prinzip beharre, leiden die Spieler in meinen Abenteuern weniger am Gefühl, zur Tatenlosigkeit verdammt zu sein, als wenn man sich strikt an alle Regeln hält und keine Ausnahmen macht.

Im Geiselnahme-Szenario mit dem Dolch an der Kehle können die Spieler die Geisel retten, ich bin für jeden Vorschlag von Spielerseite prinzipiell erst einmal offen:
* Der Geiselnehmer wird überwältigt, bevor er dem Opfer leid zufügen konnte (Paralyse Zauber, Beherrschung etc.)
* Er gibt auf (Sozialfähigkeiten)
* Er wird so attackiert, dass die Geisel keine oder nur geringe Verletzungen erleidet (von Hinten am Arm gepackt, Pfeilschuss in die Hand, als diese sich durch gestikulieren vom Hals wegbewegt)
* Die Geisel wird schwerstverletzt (in SpliMo würde ich wie gesagt zu den Zuständen Blutend und Sterbend greifen) und kann von den Spielern bei zügiger Vorgehensweise durch Tränke oder Heilmagie gerettet werden
* Die Spieler haben bei einem guten Plan einfach Würfelpech, deshalb bin ich gnädig und lasse die Geisel sich so wehren, dass sie nur die 1W6+1 Schaden erleidet
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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #25 am: 24 Apr 2015, 22:39:58 »
[@quote author=Jeong Jeong]Das ist ja genau das, was ich meine: das meiste geht auch mit den Regeln.[/quote]

Aber warum ist das wichtig, wie sehr sich der Spielleiter bei der Darstellung einer Szene an die Regeln gehalten hat? Das ist doch der Punkt, um den es geht. Meine Meinung (sowohl als Spieler als auch als Spielleiter): Der Spielleiter gibt das Setting vor. Alles, was die Charaktere machen, ist den Spielern überlassen, aber alles, was bis dahin passiert ist, spielt keine Rolle und "ist einfach so".

Zitat
a, aber du kannst mit manchen Systemen manche Dinge besser spielen, als mit anderen. Nicht anderes habe ich gesagt. ;)

Aber nur, wenn man, wie du, den Regeln für die Geschichte größeren Wert zuweist. Wenn man sagt "Die Regeln sind nur ein ganz grobes Gerüst, das ich für meine Geschichte nutze" (so extrem würde ich es nicht ausdrücken, aber ich kenne Leute, die das tun), trifft die von dir gemachte Einschränkung einfach nicht mehr zu. Dann kann man auch Splittermond im All spielen und mit dem selben Spielspaß fremde Planeten erforschen wie als würde man einer fiesen mertalischen Intrige nachgehen. Es ist IMHO eine Frage der Einstellung und das hier genannte Beispiel ist sicher eine der extremsten Positionen, aber darum geht es ja - um Einstellungen.

Drum werde ich hier auch nicht mehr dazu sagen, denn das liefe nur noch auf Wiederholungen und Selbstzitate hinaus. ;-)

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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #26 am: 24 Apr 2015, 22:50:53 »
Das ist ja genau das, was ich meine: das meiste geht auch mit den Regeln. Es wird dann vielleicht wie in diesem Beispiel brutaler, kann aber immer noch im Affekt passiert sein (das auch gleich als Antwort auf Horus Beitrag). Eigentlich verhindern die Regeln nur in sehr wenigen Fällen einen Plot wirklich vollkommen. Meistens muss man nur etwas um die Ecke denken und dann kommt ganz schnell auch eine interessante Abwandlung eines eigentlich recht typischen Plots bei raus.

Ich will keine Abwandlung eines recht typischen Plots, ich will einen guten Plot, mit interessanten Situationen und Nichtspielercharakteren. Und da will ich auch einfach Abwechslung liefern, die NPCs und Geschichten in ihren Feinheiten und Zusammenstellungen variieren. Und es macht Unterschiede, ob das Opfer von einem Schlag getötet oder brutal massakriert wurde.

Spuren am Tatort, Hinweise auf die Charakterisierung des Täters, das Gefühl der Spieler bei der Schilderung des Tatorts... ich rede hier von teils sehr subtilen Stellschrauben mit teils deutlichen Effekt auf das Spielgefühl.

Du kannst die Wichtigkeit solcher Feinheiten natürlich für Dich selbst relativieren, aber mir und vielen anderen Spielern bedeutet das sehr viel, deshalb kannst Du sie kaum Verleugnen.
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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #27 am: 24 Apr 2015, 22:52:03 »
Aber warum ist das wichtig, wie sehr sich der Spielleiter bei der Darstellung einer Szene an die Regeln gehalten hat?
Weil die Spielwelt dann konsistenz hat. Wenn der NPC der Geisel einfach die Kehle durchschneiden kann und sie darauf quasi sofort stirbt erwarte ich dann als Spieler, das ich das ebenfalls mit meinen Gegner machen kann. Noch viel schlimmer, ich muss als Spieler die ganze Zeit aufpassen, das die NPCs das nicht mit mir machen und ich mir bald einen neuen Char erstellen muss, nur weil der NPC einfach mal einmal die Regeln ignorieren durfte!

Hätte man sich einfach an die Regeln gehalten und hätte sich andere Dinge überlegt, wie man das machen kann, würde man kann nicht erst auf das Problem stoßen und die Welt wäre weiterhin komplett konsistent.

Man muss halt manchmal nachdenken, wie man etwas realisiert, kann aber dabei auf sehr interessante Möglichkeiten stoßen, an die man vorher nicht gedacht hatte, als man noch vor hatte, einfach die Regeln zu ignorieren.

Spuren am Tatort, Hinweise auf die Charakterisierung des Täters, das Gefühl der Spieler bei der Schilderung des Tatorts... ich rede hier von teils sehr subtilen Stellschrauben mit teils deutlichen Effekt auf das Spielgefühl.
Und alles das kannst du erreichen, ohne dabei die Regeln ignorieren zu müssen. Man muss sich nur etwas überlegen, wie man das ganze mit Hilfe der Regeln darstellen kann und erhält damit vlt. sogar einen besseren Plot, an den man vorher gar nicht gedacht hat.
« Letzte Änderung: 24 Apr 2015, 22:54:12 von Yinan »
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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #28 am: 24 Apr 2015, 22:53:09 »
Zitat von: Jeong Jeong
Das ist ja genau das, was ich meine: das meiste geht auch mit den Regeln.

Aber warum ist das wichtig, wie sehr sich der Spielleiter bei der Darstellung einer Szene an die Regeln gehalten hat? Das ist doch der Punkt, um den es geht. Meine Meinung (sowohl als Spieler als auch als Spielleiter): Der Spielleiter gibt das Setting vor. Alles, was die Charaktere machen, ist den Spielern überlassen, aber alles, was bis dahin passiert ist, spielt keine Rolle und "ist einfach so".

Es geht hier zum einen darum, dass ich in meiner Erfahrung im Halten an die Regeln sehr oft einen wirklichen Mehrwert für die Geschichte gefunden habe. Die erzählte Handlung wurde dann enger mit der Hintergrundwelt verknüpft und fand wirklich in dieser statt, bekam durch sie etwas besonderes.

Andererseits hat der Primat der Regeln, wie ich es jetzt mal nenne, auch den Vorteil, dass dadurch alle Spieler und der Spielleiter einen gemeinsamen Rahmen haben, in dem sie Überlegungen anstellen. Wir haben hier bisher sehr viel über Realismus gesprochen und was realistisch wäre und was nicht. Aber meistens haben verschiedene Menschen darüber, was realistisch ist, doch sehr unterschiedliche Ansichten. Zum Beispiel wenn es um sowas geht, wie es klingt, wenn jemand in den Rücken gestochen wird. ^^

Glücklicherweise hat man am Spieltisch selten Leute, die sowas aus eigener Erfahrung berichten können, aber deswegen wird es zu solchen und vielen anderen Themen auch immer unterschiedlichste Meinungen geben. Sowas kann dann schnell dazu führen, dass Spieler auf einen Handlungsstrang gar nicht kommen, in ganz andere Richtungen denken oder im schlimmsten Fall sogar mit dem Spielleiter darüber diskutieren, was jetzt realistisch wäre. Da ist es dann einfach praktikabler, eine Geschichte zu erzählen, die nicht mit den Regeln bricht, sondern auf Basis von diesen erzählt wird. Denn dann haben alle einen gemeinsamen Nenner, in dessen Rahmen sie Denken und Handeln können.

Jeong Jeong

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Re: Regeln und Geschichten: Was hat Priorität?
« Antwort #29 am: 25 Apr 2015, 00:00:57 »
Du kannst die Wichtigkeit solcher Feinheiten natürlich für Dich selbst relativieren, aber mir und vielen anderen Spielern bedeutet das sehr viel, deshalb kannst Du sie kaum Verleugnen.

Objection! Der Zeuge spekuliert über die Meinungen anderer Spieler! ^^

(Sry, ich habe gerade eine Anwaltsserie gesehen, da ist das noch so in mir drin. ^^)