Ich hab kein Problem damit, wenn es jemand anders macht, aber ich bin ein klarer Verfechter von "Story (und Logik) über Regeln". Meine Hauptgründe dafür:
(1) Ich möchte in keinem Fall, dass meine Spieler all das nicht dürfen, was nicht in den Regeln steht. Und egal wie gut ein Regelwerk ist, irgendwas fehlt ja doch immer. Für mich hat Rollenspiel viel mit Kreativität zu tun, und wenn ich die Wahl habe zwischen einer coolen Idee und einer konsequenten Regelauslegung, nehme ich die Idee.
EDIT: Außerdem spiele ich als Spieler doch kein Rollenspiel, damit mein Charakter (womöglich gar ein Splitterträger!) am Ende weniger drauf hat als ich selbst. Ich bin IRL sicher nicht die Supersportskanone, aber mein Wort drauf - wenn ich jemandem voll zwischen die Beine trete, dann bleibt der erstmal liegen. Und wenn ich jemanden in einen Haltegriff kriege (ich hab mal eine Zeitlang Kampfsport gemacht), dann kommt der da auch nach 15 Minuten noch nicht raus, wenn ich ihn nicht lasse. Und so weiter. Wenn mir jetzt ein Spielleiter sagen würde: "Schön, dass DU das kannst, aber dein Recke vom Wächterbund kann das leider nicht, weil es nicht in den Regeln steht", dann würde ich mir veralbert vorkommen.
(2) Ich lege Wert darauf, dass die Spielwelt eine innere Logik besitzt. Zumindest ich kann mir aber die innere Logik einer Welt, deren Naturgesetze durch 200 Seiten Regeln vollständig beschrieben werden, gar nicht vorstellen. Wenn ich das Dolchbeispiel nehme und sage: "In Splittermond kann man nicht sterben, wenn einem von ungeübter Hand die Kehle durchgeschnitten wird", dann müsste ich das erstmal konsequent zu Ende denken. Ich müsste Fragen beantworten wie: Warum ist das so (Gummidolche? Menschen haben eine ganz andere Anatomie? Magie? göttliche Fügung)? Und schlimmer noch: Was bedeutet das dann an anderer Stelle? Als Spielleiter müsste ich bei der Entwicklung eines Plots an jeder Stelle darauf achten, dass alles was dort geschieht (oder in der Vergangenheit geschehen ist) stets im Einklang mit Regeln steht, die möglicherweise unserer realen Erfahrung widersprechen. Und zumindest ich bin damit, mir diese andere (regelbasierte) Welt konsistent vorzustellen, hoffnungslos überfordert - ich brauche (als Spieler wie als Spielleiter) den Anker meiner realen Erfahrung, um halbwegs plausible Geschichten zu erzählen.
Nehmen wir mal das Beispiel eines Krimis. Ich würde als Spielleiter ganz arglos eine Ausgangssituation konstruieren, wo der Hausherr tot im Bad liegt. Angedacht ist eine typische Dreiecksgeschichte mit abschließendem Eifersuchtsmord. Und jetzt kommen die Spieler her und fangen an, das Ganze aus Regelsicht zu durchleuchten. Die Heilkunde-Probe ergibt: Jemand hat dem Opfer mit einem schweren Gegenstand den Schädel eingeschlagen. Weitere Verletzungen und Vorerkrankungen gibt es nicht. Die Ehefrau, das Hausmädchen und der Butler kommen somit für die Spieler gleich nicht mehr in Frage, weil die das laut Regelbuch schlicht nicht könnten. Stattdessen MUSS der Mord zwingend entweder von einem Monster oder jemandem mit der Meisterschaft "Überraschungsangriff II" begangen worden sein. Und da geht er hin, der Krimiplot - im Grunde können wir den an dieser Stelle die Geschichte abbrechen...
Zum Glück habe ich das in der Form aber auch noch nie erlebt. Eigentlich wissen alle, dass die Regeln nur eine Annäherung sind, die nie zu 100% realistisch sein kann. Von daher habe ich damit in der Praxis auch noch nie ein echtes Problem gehabt.