Hallo!
Ich habe mich in dem alten Thread dazu ja schon geäußert - ich schaue aber mal, ob ich hier eventuell auch nochmal mehr schreiben kann.
Ich will jedoch etwas zu den unpolitischen Rollenspielen schreiben.
Es ist gar nicht so, dass alle Rollenspiele unpolitisch sind. Viele der "großen" Systeme sind relativ unpolitisch, einfach, weil sie eine möglichst große Spielerschaft ansprechen wollen, und das schaffen sie mit einem sehr politischen System eben nicht. Politik ist ein Thema, das viele bei ihrem Hobby ausklammern wollen, und für viele ist Rollenspiel sicherlich auch eine Form des Eskapismus. Viele Systeme sind also unpolitisch - was aber längst nicht heißt, dass auch die darin gespielten Abenteuer unpolitisch sind. Gerade in Abenteuern gibt es immer wieder politische Statements, mal gut, mal weniger gut versteckt. Dennoch ist, glaube ich, die Antwort auf die Frage: Weil die meisten Spieler es eher unpolitisch wollen. Komplexe Politikthemen sind daher meist etwas für Nischensysteme.
Aber nicht immer. Du hast Shadowrun angesprochen - und ja, Shadowrun ist in erster Linie die Übertragung eines klassischen Dungeon-Crawl-Konzepts in ein urbanes SciFi-Universum. Es gibt dort eine Menge politischer Aussagen, die spielen aber im Spiel selten eine Rolle.
Ganz anders ist es aber bei dem alten Cyberpunk-Rollenspiel. Das, beispielsweise, war ein durch und durch politisches Rollenspiel, was sich bei der Vorlage auch gar nicht hätte vermeiden lassen. Cyberpunk ist fundamentale System- und Kapitalismuskritik, und die Charaktere dort sind üblicherweise gesellschaftliche oder tatsächlich politische Rebellen. Anders als in Shadowrun ist dort nicht jeder per default erstmal ein Söldner, sondern ein "Social Warrior" - natürlich mit Abstufungen, man konnte aus seinem Charakter ja machen, was man will. Und Cyberpunk war eine ganze Weile ganz schön groß!
Ein anderes Beispiel: Die moderne World of Darkness gibt sich ja redlich Mühe, religiöse und mythologische Weltansichten zu respektieren, und erschafft dabei dann lieber eine eigene Mythologie anstatt - wie früher - auf judeo-christliche, nativ-amerikanische oder andere Mythen zurückzugreifen. Das hindert sie aber nicht daran, politisch zu sein: Es gibt ein Abenteuer, das sich darum dreht, dass eine korrupte Regierung dazu verwendet wird, Homosexualität unter Todesstrafe zu stellen, und die Spieler müssen verhindern, dass die Politiker damit durchkommen.
Es gäbe noch andere Beispiele für Politik im Rollenspiel. Letztlich kann man, finde ich, gerade den großen Systemen keinen Vorwurf machen, wenn sie unpolitisch sind. Große Systeme folgen selten einem High-Concept-Leitmotiv, sondern verstehen sich als Baukasten für die eigenen Vorlieben. Sprich: Splittermond ist vergleichsweise unpolitisch (aber nicht völlig), aber gut geeignet, um darin politische Abenteuer zu spielen. Und das gilt für die meisten Systeme.