Dann erzähl ich einfach mal, wie ich das mache. Vorsicht, mittlerer Wall of Text!
VorbemerkungIch habe im Laufe der letzten Jahre viel experimentiert und festgestellt, dass echtes Player Empowerment mein Ding nicht ist. Andererseits kamen mir diese ewig gleichen Abenteuer, wo sich fünf wildfremde und bunt zusammengewürfelte Charaktere in einer Kneipe begegnen und dann 10 Minuten später zufällig ein Auftraggeber zur Tür reinkommt, auch zum Hals raus. Was ich wollte, war also eine Art Mittelweg: Ich wollte die alte Verteilung der Erzählrechte beibehalten (Spieler = alles, was ihre Figuren machen; Spielleiter = alles, was der Rest der Welt macht), aber zugleich eine Geschichte haben, die auf die SC zugeschnitten ist und ihnen maximale Handlungsfreiheit bietet. Eine solche Kampagne leite ich jetzt seit anderthalb Jahren, und ich denke, es sind alle sehr zufrieden damit.
Gemeinsames Festlegen des KampagnenrahmensWie haben wir das gemacht? Zunächst einmal haben wir
gemeinsam entschieden, was wir spielen wollen. Ich habe jeweils ein paar Vorschläge gemacht, die wurden diskutiert und am Ende wurde abgestimmt. Das hat sowohl beim Setting als auch bei den Regeln gut funktioniert.
Als nächstes werden die Figuren erstellt, und zwar ebenfalls gemeinsam. Dabei ist vor allem wichtig, dass wir herausarbeiten, was unsere Figuren zusammenschweißt. Denn was ich wirklich nicht mehr sehen kann, ist dieser zusammengewürfelte Haufen aus (ich nehme mal DSA-Beispiele, weil so viele die kennen) Praios-Priester, Ferkina-Gladiator, heimlicher Hexe, Brabaker Einbrecher, Thorwaler und Schelm, die sich eigentlich gegenseitig auf den Tod nicht ausstehen können und es dem Spielleiter überlassen, immer neue Gründe zu finden, warum die Gruppe zusammenbleibt. Ich lege daher Wert darauf, dass
- die Gruppe ein gemeinsames Thema findet (z.B. Flüchtlinge aus Termark, Gauklertruppe, Erben einer kleinen Baronie, Gaunerbande, Wächterbund, Schiffsbesatzung, Midstadter Rebellen, Agenten eines Handelshauses,...) und
- die Vorgeschichten so gestaltet werden, dass die Figuren möglichst viele Berührungspunkte zueinander haben. Gut funktioniert hat hier der Mechanismus aus Malmsturm, bei dem jeder SC mit zwei anderen SC je ein gemeinsames Erlebnis teilt. Vielleicht hat einer dem anderen das Leben gerettet, ist Bruder/Schwester, ist heimlich verliebt, kennt das größte Geheimnis, schuldet einen großen Gefallen, teilt denselben Glauben usw. Auf diese Weise wird die Gruppe zusammengeschweißt und die Grundlage für Rollenspiel untereinander gelegt.
Wenn sich der Pulverdampf der Diskussionen gelegt hat, wird jeder gebeten, seine Vorgeschichte zu Papier zu bringen und dort besonderes Gewicht darauf zu legen, (1) welche NSCs (Freund / Feind / sonstige) wichtig waren, (2) welche großen und kleinen Motive und Ziele der Charakter hat und (3) welche weiteren Plothooks in der Vorgeschichte angelegt sind (z.B. ein Geheimnis, das der Spieler selbst auch noch nicht kennt, o.ä.). Diese Vorgeschichten sind wichtig, weil die Spieler nie wieder derart großen Einfluss auf das bekommen, was in der Kampagne geschehen wird.
Aus diesen Vorgeschichten (und natürlich meinen eigenen Ideen) bastele ich jetzt zunächst den groben Kampagnenrahmen. Welche Themen sollen in der Kampagne unbedingt vorkommen? Welche Ziele sollen erreicht werden, wenn alles optimal läuft? Welche Ideen kriege ich selbst beim Lesen der Vorgeschichten?
Von Sitzung zu SitzungDer zentrale Vorsatz bei dieser Art eher offener Kampagne ist: Die Spieler allein bestimmen, wo es langgeht. Es wird nicht gescriptet und nicht gerailroadet. Wenn sie in eine andere Richtung marschieren wollen als die, die ich mir eigentlich vorher überlegt hatte, dann ist das so. Dafür ist es Rollenspiel und kein Roman. Aber natürlich bedeutet das auch, dass ich die klassische lineare Vorbereitung, wie man sie aus den meisten Kaufabenteuern kennt, hier nicht benutzen kann.
Stattdessen überlege ich mir bei der Vorbereitung einer Sitzung immer die folgenden Dinge:
- Wie kommen wir im Gesamtplot der Kampagne voran?
- Welche NSCs (Freunde, Feinde und Neutrale) sind gerade "in Schlagweite", welche Ziele verfolgen sie, und was geschieht daher, wenn die SC nicht eingreifen?
- Welche Aktionen der SC sind besonders wahrscheinlich?
- Welche "Goodies" soll diesmal für welchen SC drin sein (tolle Szenen, Belohnungen, Erfahrungen, whatever)?
Basierend auf diesen vier Elementen versuche ich dann die Sitzung vorzubereiten. Ich lege NSCs, Schauplätze, Szenen etc. zurecht, die besonders wahrscheinlich eine Rolle spielen. Welche davon aber tatsächlich zum Einsatz kommen, liegt dann allein an den Spielern. Wenn sie sich nach 5 Minuten entschließen, in eine andere Richtung zu marschieren, dann muss ich ggf. improvisieren. Da meine Sitzungen aber nicht allzu lang sind (knapp 3 Stunden jeweils), ist mir dieser krasse Fall so noch gar nicht passiert. Meist kann ich schon ganz gut absehen, was die SC tun wollen (ggf. frage ich die Spieler einfach zwischen zwei Sitzungen). Und wenn wirklich mal einige vorbereitete Sachen nicht verwendet werden, bringt mich das nicht um - ich packe sie einfach in ein "Reste"-Dokument zur späteren Verwendung.
Wichtig ist bei einer solchen Kampagne, dass die Liste der NSCs, Ziele und Plothooks meist kontinuierlich anwächst. Die Spieler aber entscheiden, welche davon jetzt wichtig und welche ignoriert werden. So führe ich beispielsweise sehr viele NSCs ein, von denen zunächst wenig mehr als eine Name und eine zweizeilige Beschreibung existieren. Die Spieler selbst entscheiden, mit welchen davon sie intensiver interagieren wollen. Diese bekommen dann mit der Zeit immer mehr Profil, und aus manchen davon werden regelrechte Lieblings-NSCs, die immer wieder auftauchen können.
Obwohl ich mit ziemlich erfahrenen Rollenspielern spiele, will ich auch nicht verschweigen, dass auch die sich an den neuen Kampagnenstil und die absolute Handlungsfreiheit erst gewöhnen müssen. So gibt es unter Spielern, die vor allem gescriptete Kaufabenteuer gewöhnt sind, eine Tendenz, bestimmte Möglichkeiten schlicht nicht auszuschöpfen. Sie warten gerne mal ab, bis wieder was passiert. Da ich meine NSC aber durchaus realistisch spiele, ist das oft keine gute Idee, bedeutet es doch, immer einen Schritt hinter den Gegnern zu sein. Hier kommt eben kein weises Gildenoberhaupt um die Ecke und sagt: "Übrigens, ihr müsstet dies und das tun, damit ihr gewinnen könnt." Vielmehr erwarte ich, dass sich die Gruppe selbst Pläne zurechtlegt und diese dann umsetzt. Auch wenn das bedeutet, dass ich mit den Plänen, die dabei herauskommen, meist in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet hätte. Die Szenen, die so entstehen, sind aber ebenfalls cooler als alles, was ich mir selbst hätte ausdenken können, und sorgen dafür, dass es wirklich unsere Kampagne ist und nicht nur meine, bei der die Spieler gnadenhalber die Dialoge und die Würfelergebnisse beisteuern dürfen.
FazitWie gesagt: Player Empowerment im Sinne von "ich bezahle mal einen Fate-Punkt dafür, dass der Stadtgardist ein alter Kumpel von mir ist" verwende ich nicht. Trotzdem haben meine Spieler massiven Einfluss auf die Kampagne, indem sie die Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, die ihre Charaktere haben. Insbesondere sind das:
- Vorgeschichten: Hier kann jeder Spieler einmalig ungeniert NSCs, Handlungselemente, Plothooks und Kampagnenziele einführen.
- Entscheidungen: Zu jedem Zeitpunkt wählen die Spieler (mit absoluter Freiheit, aber auch absoluten Konsequenzen) aus, welche NSCs, Handlungselemente, Plothooks und Kampagnenziele gerade wichtig sind und weiterverfolgt werden.
- Pläne: Durch ihre Pläne bestimmen die Charaktere im Grunde den Verlauf der nächsten Sitzung. Bleiben sie passiv, bestimme ich (was aber meist nicht gut ist für die Gruppe), werden sie aktiv, haben sie selbst das Steuer in der Hand und lenken die Geschehnisse in die Richtung, die ihnen wichtig ist.
Und bislang hat das sehr gut funktioniert.
LiteraturempfehlungBrian Jamison: Gamemastering (als PDF kostenlos herunterladbar).
Kann ich gar nicht oft genug empfehlen - man muss ja nicht alles umsetzen, was er da an Techniken vorschlägt, aber das Buch erweitert definitiv den Spielleiter-Horizont.
So, genug geschwafelt. Ich hoffe, du kannst etwas damit anfangen - wenn ja, würde es mich freuen, irgendwann in ein paar Monaten mal von dir zu hören, wie du es gemacht hast und wie es läuft.