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« Letzter Beitrag von Takur am 05 Apr 2025, 13:15:10 »
Die Legende vom roten und vom blauen Oni
Atasato und Umland, Kintai (Akira, Takur, Ren und Luo)
Nach der Ankunft in Atasato hielten Hao, Ren und Luo erst einmal Abstand zu Prinzessin Amui, nicht zuletzt um keine Aufmerksamkeit zu erwecken. Ihre beiden Kameraden Takur und Akira hatten mit einem Ablenkungsmanöver die Flucht ihrer Kameraden unterstützt und stießen etwas später zu den anderen. Die Abenteurer brachten sich gegenseitig auf den neusten Stand, wobei Hao, Ren und Luo einige Details wie die Identität des Jadedrachen für sich behielten.
Die Ankunft der Prinzessin in Atasato erregte Aufsehen, wurde allerdings durch andere Ereignisse überschattet: Es hieß, dass in der Umgebung der Handelsstadt ein Oni – ein riesiges Sagenwesen – sein Unwesen treiben sollte, das Reisende und Anwohner zum Kampf herausforderte. Dies und das Gerücht, das Untier würde Schätze behüten, hatte zahlreiche Abenteurer angelockt. Angeblich war die Ankunft Oni vor einigen Jahren prophezeit worden, weshalb das örtliche Fürstenhaus etwas zurückhaltend agierte. Gerade Akira war interessiert, mehr über das Untier zu erfahren. Der Kintarai sah darin eine Möglichkeit, sich auf heimatlicher Erde zu bewähren. Er hatte wenig Mühe, seine Mitstreiter zu motivieren.
Luo erfuhr in den Schenken und Märkten einiges über das Ungeheuer, auch wenn sich die Beschreibungen unterschieden. So variierten die Größe und das Verhalten des Oni, der mal eine rote, mal eine blaue Rüstung tragen sollte. Vor kurzem hatte er ein ganzes Dorf verwüstet: Er war aufgetaucht, hatte eine Herausforderung gebrüllt und die Dörfler beleidigt, und dann begonnen, den Ort zu verwüsten. Die Beschreibungen sprachen von einem „hausgroßen“ gepanzerten Riesen mit einer gewaltigen Kriegskeule. Zum Glück hatten die Einwohner des angegriffenen Dorfes den langsamen Schlägen des Oni ausweichen können und waren entkommen. Auf jedem Fall verlangte die Bevölkerung Taten. Suguri Goro, der Fürst Atasatos, sah sich zunehmend unter Druck. Ohnehin regierte er nur nominell die Stadt, in der in Wahrheit ein Zusammenschluss der reichen Händlerfamilien die Fäden zog. Was die Gerüchte über die angeblichen Schätze des Oni anging, so schien dies lediglich auf Hörensagen zu beruhen. Möglicherweise handelte es sich dabei um ein sich verselbstständigendes Gerücht – oder jemand hatte es in die Welt gesetzt, um schatzsuchende Abenteurer anzulocken, die dann hoffentlich das Untier beseitigen würden.
Akira und Ren suchten unterdessen den Myuriko-Priester Undo auf, der in der Angelegenheit Nachforschungen angestellt hatte. Laut diesem handelte es sich bei dem Ungeheuer wohl nicht um einen „echten“ Oni (ein Wesen der göttlichen Domäne), sondern ein Feenwesen. Undo vermutete zudem, dass der Oni irgendetwas mit dem Quirin zu tun hatte, das in den letzten Tagen gesichtet worden war. Die dem dragoreischen Einhorn ähnelnden Quirin mieden normalerweise Sterbliche. Eventuell wollte das Wesen vor der Bedrohung warnen, denn die pferdeähnlichen Kreaturen waren für ihre scharfen Sinne und ihre prophetische Begabung bekannt.
Da Akira aus der Kintarai-Oberschicht stammte, gelang es ihm, Erkundigungen beim Fürstenhof einzuziehen, auch wenn die Beamten eher zurückhaltend waren. Vor drei Jahren hatte ein Onmyōji geweissagt, dass ein blauer Oni erscheinen und die Gegend bedrohen würde. Erst ein „vorbestimmten Streiter“ würde die Bedrohung in ihre Schranken weisen, wobei dieser kein Untertan oder Diener des Fürsten sein werde. Man hatte die Weissagung verlacht und den Magier fortgewiesen. Die Onmyōji, Meister der Astrologie und Hüter der Beziehungen zu den jenseitigen Wesen, hatten in den letzten 450 Jahren erheblich an Ansehen und Einfluss verloren, weil sie ihre Macht nicht auf Myuriko bezogen. Nun wusste keiner, wie man den „auserwählten Streiter“ finden sollte. Der Fürstenhof hatte deshalb das Treiben der Schatzsucher in der Hoffnung geduldet, dass sich unter diesen Fremden zufällig der rechte Streiter finden würde. Hao nahm diesen Hinweis zum Anlass, um einer eigenen Spur nachzugehen: sie hatte im von einem alten Tempel außerhalb der Stadt erfahren, der noch aus vor-kintaraischen Zeiten stammte und hoffte, dort mehr erfahren zu können.
Die anderen Abenteurer beschlossen, nicht bis zu ihrer Rückkehr zu warten. Sie wollten nach dem Weissager suchen und mit dem Quirin in Kontakt treten. Da ihnen die magischen Möglichkeiten fehlten, sich mit dem Tier zu verständigen, hofften sie auf Akiras Fähigkeit, zu ausgewählten Anlässen Hilfe von Myuriko zu erflehen. Sicherheitshalber unterzogen sie sich mit Undos Unterstützung einem Reinigungsritual, da Ren befürchtete, ihre jüngsten Zusammenstöße mit Untoten und Geistern könnten das Quirin abschrecken.
Zuerst machten sie sich zu dem angeblichen Wohnsitz des Onmyōji auf, einem abgelegenen, verfallenden Herrenhaus. Eine große Anzahl Krähen hockte auf den Giebeln des Haupthauses und der Nebengebäude. Ren begrüßte die Vögel höflich und erklärte, dass die Gruppe eine Audienz bei dem Magier erbitte. Daraufhin schwang die Tür des Haupthauses auf und gewährte Zutritt zu einem spärlich beleuchteten Zimmer, das mit Reisstrohmatten ausgelegt war. Die Abenteurer streiften ihre Fußbekleidung ab und nahmen Platz, behielten aber ihre Waffen griffbereit. Eine Gestalt in guter Kleidung und mit einem hohen Hut – ein männlicher Mensch oder Alb mittleren Alters – hieß sie willkommen. Die Helden hatten halb erwartet, es mit einem geldgierigen Scharlatan zu tun zu bekommen, mussten diese Vermutung aber korrigieren. Der Onmyōji, der sich als Hajime vorstellte, verhielt sich erstaunlich kooperativ.
Der Hajime teilte die Sorge der Abenteurer über die aktuelle Situation, denn laut seinen Prognosen hätte der „vorbestimmte Streiter“ bereits erscheinen sollen.
Allerdings hatte Hajime bei seiner Weissagung dem Fürstenhof tatsächlich nicht die ganze Wahrheit erzählt: Dies lag daran, dass es im Umgang mit Feenwesen stets Gebote zu berücksichtigen galt, die man nur zu einem hohen Preis brechen könne. Gegenüber den auswärtigen Abenteurern konnte er freier sprechen – und war beeindruckt zu erfahren, wie viel Erfahrung sie bereits mit Feenwesen besaßen. Er warnte sie aber, dass sie zum Schweigen verpflichtet seien, und der vor ihnen liegende Weg gefahrvoll werden könnte.
Feenwesen – und um ein solches handelte es sich bei dem „Oni“ – waren nicht nur durch Pakte gebunden, sondern folgten oft einer bestimmten Rolle oder Geschichte, die sich meist nur unter extremen Bedingungen änderte. Menschen nahmen dabei oft nur eine Nebenrolle ein, doch wenn sie die nicht wie vorgesehen spielten, konnte das gravierende Folgen haben.
Der „Oni“ sei Teil einer solchen Geschichte:
Die Legende vom roten und blauen Oni:
Eins lebten zwei Oni-Brüder, die abseits der Sterblichen lebten. Der rote Oni wollte sich mit den Sterblichen anfreunden, was aber an seinem furchteinflößenden Aussehen scheiterte. Deshalb ersann sein Bruder den Plan, sich als scheinbare Bedrohung zu präsentieren. Der rote Oni würde den Sterblichen zu Hilfe kommen, den blauen Oni in einem Schaukampf vertreiben und so Ansehen und Dankbarkeit erringen. Sein Bruder aber würde die Gegend verlassen müssen.
Allerdings hatte sich die Geschichte in Atasato nicht wie geplant entwickelt: Die Sterblichen lehnten auch den roten Oni ab und flohen ihn. Das Quirin wollte eventuell die Sterblichen warnen, dass die Geschichte nicht so ablaufe wie geplant, hatte sich aber nicht verständlich machen können.
Die Abenteurer berieten sich und kamen zu dem Entschluss, dem roten Oni zu helfen. Es war ihnen nicht gestattet dem Fürstenhof zu enthüllen, dass es sich um eine Geschichte handelte, die auf bestimmte Weise ablaufen müsse. Die Notwendigkeit zu lügen belastete besonders Akira. Ren schlug vor, die Hilfe des Quirin zu suchen. Würde das Wesen den roten Oni begleiten, dann würden die Kintarai dies als Beweis für seine Tugendhaftigkeit ansehen, da Quirins angeblich Falschheit untrüglich aufspüren konnten. Anhand der Geburtsdaten der Abenteurer konnte Hajime – von der neugierigen Ren beobachtet – ein Horoskop erstellen, um mögliche Treffpunkte mit dem roten Oni und dem Quirin einzugrenzen. Die Abenteurer versprachen, Hajimes Namen lobend beim Fürstenhof zu erwähnen, falls sie Erfolg haben sollten. Dann brachen sie eilends auf. Jeder Tag Verzögerung drohte das Wüten des blauen Oni zu verschlimmern. Sie verschafften sich starken Reisschnaps und -wein, um den roten Oni günstig zu stimmen, und dazu einige Opfergaben für das Quirin.
Die Reise verlief ohne Zwischenfälle und nach einigem Suchen stießen die Helden tatsächlich auf das Quirin. Während die anderen Abenteurer respektvoll zurückblieben, näherte sich Akira mit den Gaben und bat Myuriko in einem formellen Gebet, ihm bei der Verständigung mit dem Wesen zu helfen. Auch wenn kein direkter Austausch zustande kam, schien es, als ob das Wesen ihn verstünde. Das Quirin leitete die Gruppe zu einer Höhle. Vorsichtig betrat die Gruppe die Höhle und fand den bewusstlosen roten „Oni“. Er war eine überaus beeindruckende Erscheinung: mit gut vier Schritt einiges größer als ein „echter“ Oni, und bewaffnet mit einem schweren Kriegsschwert. Das Feenwesen war offenkundig verwundet, und reagierte nicht auf die Versuche der Abenteurer, ihn zu wecken. Ren stellte fest, dass das Wesen vergiftet worden war, und zwar mit einer speziellen Mixtur, die zur Bekämpfung von großen Monstern entwickelt worden war. Ohne Hilfe würde der „Oni“ unweigerlich zugrunde gehen. Indes überstieg die Vergiftung die Fähigkeiten der Abenteurer. So entschlossen sie sich, Luo zurück nach Atasato zu schicken. Dort sollte er dank seiner guten Straßenkenntnis unauffällig ein Gegengift zu beschaffen. Auf keinen Fall wollten die Helden beutegierige Schatzsucher auf sich aufmerksam machen. Die anderen Helden würden zurückbleiben und bereitstehen, falls irgendwelche „Monsterjäger“ die Höhle fanden. Rens Heilungsmagie vermochte den Vergifteten vorerst am Leben erhalten. Vorsorglich verwischte Takur alle Spuren im Umkreis der Höhle. Tatsächlich konnte er damit eine Gruppe Jäger in die Irre führen.
Luo war ebenfalls erfolgreich, auch wenn der Kauf des Heilmittels ein Loch in die Ersparnisse der Abenteurer riss, wobei Akira den größten Teil der Ausgaben übernahm. Das Gegengift stoppte das Fortschreiten der Vergiftung. Danach war es Ren mit Takurs Unterstützung möglich, den Vergifteten zu heilen. Danach blieb nur zu warten, bis er erwachte.
Als der rote „Oni“ die Augen aufschlug, war er überaus dankbar für seine Rettung. Er schien nicht zu wissen, dass er Teil einer Geschichte war (wohl aber, dass sein Kampf mit dem blauen „Oni“ nur gespielt sein sollte), und die Abenteurer wählten deshalb ihre Worte mit Bedacht. Seitdem der rote „Oni“ begonnen hatte, seine Hilfe anzubieten, war er dreimal von Sterblichen angegriffen worden. Beim dritten Mal war er vergiftet worden. Der „Oni“ war gerne bereit, dem Plan der Abenteurer eine Chance zu geben. Akira und Ren brachen in die Stadt auf. Sie informierten den Fürstenhof, dass sie den rechten Streiter mit Hilfe des Onmyōji Hajime, den sie lauthals lobten, gefunden hatten. Die Hintergründe behielten sie für sich. Suguri Goro ließ sich rasch überzeugen – ein Oni als Helfer war ihm allemal lieber als ein Angehöriger eines verfeindeten Clans. Er versprach, amtliche Zeugen mitzuschicken, die eventuelle Zwischenfälle vermeiden sollten. Im Falle des Sieges wollte der Fürst den „auserwählten Streiter“ angemessen würdigen. Auch der Priester Undo schloss sich an. Begleitet von einer wachsenden Menschenmenge machten sich Ren und Akira auf den Weg. Sie stießen zum Rest der Gruppe und dem roten „Oni“, denen sich das Quirin angeschlossen hatte. Dessen Gegenwart tat das Ihre, um die Sterblichen von unbedachten Taten abzuhalten. Es war klar, dass dem Tier die Menschenmenge unangenehm war, doch schritt es tapfer voran. Besonders Akira sah es als große Ehre, mit einem solchen Wesen ein Stück Weges zu ziehen und es gar berühren zu dürfen.
Bald schon traf die Gruppe auf den blauen „Oni“. Die beiden Streiter tauschten Herausforderungen und Verwünschungen, dann sprachen die Waffen. Die Keulenhiebe des deutlich größeren blauen „Oni“ verwüsteten den Wald, doch sein roter Gegner hielt stand. Auch wenn der Kampf nur gespielt war, war es ein beeindruckendes Schauspiel. Schließlich ergriff der blaue „Oni“ die Flucht. Wie geplant avancierte sein Bezwinger zum Helden. Auch die Abenteurer hatten sich Ansehen verdient. Wie ihnen Hajime mitteilte, bestand die Möglichkeit, den roten „Oni“ – der unter den Menschen den Namen Benkei erhalten hatte – für einige Zeit in den Dienst einer Sache oder Person zu binden. Ren und Akira waren sich uneins: Der Schwertalb hätte Benkei gerne als Verbündeten für den Klan Ranku gewonnen, Ren hingegen als Streiter für Prinzessin Yi. Beide wollten indes nicht streiten, und hatten auch Skrupel, den „Oni“ in die Belange der Sterblichen einzubinden. So erbaten sie sich nur die Möglichkeit, in einmal in der Stunde größter Not zu Hilfe rufen zu können, was ihnen Hajime mit Hilfe eines Papiertalismans auch ermöglichte.