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Nachrichten - Takur

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Die weiße Frau (Teil 1)
Atasato (Hao, Ren und Luo)

Die Schatzsuche nach den Hinterlassenschaften des Sammlers Zakur Saburo und die Untersuchung der Beute hatten die Abenteuer beschäftigt gehalten. Dies galt besonders für Ren, die von Gedankenfetzen des dracurischen Seefahrers heimgesucht wurde, dessen Erinnerungen in einem der gefundenen Gedankenkristalle gespeichert gewesen waren. Sie tat ihr Bestes, die Informationen festzuhalten. Zudem bemerkte sie während der Arbeit mit den Aufzeichnungen von Zakur Saburo, dass sie ein Verständnis für die Sprache und Schrift der Drachlinge zu entwickeln begann.
Hao war unterdessen mit Heilung eines prachtvollen Zwerg-Simurghen beschäftigt, der die „Seidene Stadt“ auf ihrer Reise nach Senrai begleiten sollte. Trotz ihres Erfolgs vertrug der Vogel das feuchte Klima in Nordkintai nicht gut. Hao hoffte, die Reise in die Hauptstadt würde ihm helfen. Die Unggoy-Priesterin zögerte weiterhin, Rens Drängen nachzugeben und sich als Propagandistin für die Streitmacht von Prinzessin Hui Amui zu betätigen. Sie hatte in den letzten Tagen und Wochen gelegentlich von Xiao Houzi geträumt, ihrem seltsamen Priesterkollegen, dem sie schon zweimal begegnet war. In diesen Träumen hatten sie sich über ihre Abenteuer ausgetauscht und ein paar Partien Brettspiele gespielt. Sie war sich nicht ganz sicher, inwieweit das wirklich „nur“ Träume waren. Takur war sich noch immer über seine nächsten Schritte unsicher, und Akira konzentrierte sich auf die näher rückende Abreise der „Seidenen Stadt“.

Luo und Ren hielten unterdes Kontakt zu Hui Amui. Die Prinzessin war damit beschäftigt, die Bergung und den Einsatz von Zakur Saburos Golem zu planen. Sie (und Ren und Luo) wussten, dass sie sich keine Freunde bei den in Atasato operierenden Triaden gemacht hatten und waren vor einer möglichen Vergeltung auf der Hut. Die Position der „13 Blätter“ war erschüttert worden. Möglicherweise auch deshalb kursierten nun Gerüchte, die Ren und Luo als Handlanger der Kintarai diffamierten.
Die Gerüchteküche brodelte weiterhin bezüglich der Ereignisse in Zhoujiang. Diesmal ging es um angebliche Eheprojekte General Wus. Es hieß, er habe um die Hand von Liu Luli angehalten, der Fürstin in der Kranichprovinz, oder wolle gar Prinzessin Hui Yi oder eine ihrer Angehörigen ehelichen, um den Bürgerkrieg zu beenden. Andere behaupteten, Wu wolle stattdessen seine eigene Dynastie begründen, indem er den in seiner Hand befindlichen Prinzen Hui Han oder Djian Tsao, seine getreue Militärmandarin, adoptierte und zu seinem Erben erklärte. Andere meinten, Wu wolle Djian Tsao heiraten. Dann wieder hieß es, der General habe vor, Prinz Hui Han wahlweise mit Fürstin Liu Luli, der designierten Fürstin Zo Zo von Palitan oder gar der Vorsteherin des Händlerrates My-Mei zu verkuppeln, um die Kranich- oder Spinnenprovinz zu gewinnen. Keiner der Abenteurer gab viel auf diese Geschichten.
Ernster erschienen die Gerüchte von zunehmenden Kampfhandlungen auf dem Maishi-See, von Kämpfen mit den Jogdaren, aber auch Unruhen in der zum Einflussbereich der Prinzessin gehörenden Phönix- oder Tigerprovinz. Ähnliches galt für die Schaffung einer neuen Reiterarmee durch General Wu, bestehend aus jagodischen, dalmarischen und farukanischen Söldnern. Diese einige hundert (glaubhaft) oder gar mehrere tausend Streiter starke (eher unwahrscheinlich) Formation wurde in Kintai als Armee der südlichen Barbaren oder Nanban-Armee bezeichnet, doch General Wu nannte sie die Tianma, die „himmlischen Pferde“.

Dass die Abenteurer sich inzwischen einen Namen gemacht hatten, bewies sich, als sie eine Einladung von Madame Jiao erhielten. Die bekannte Kurtisane war Palitanerin, weilte jedoch jedes Jahr für einige Monate in Atasato, wo sie einen erlesenen Kundenkreis aus Angehörigen der Handelselite und dem kintaraischen Adel hatte - darunter angeblich auch Generalin Ranku Kane. Dies war umso beeindruckender, als Jiao zwar Albin, aber eine Ausländerin war. Wenig überraschend hielten manche sie für eine Spionin Palitans oder glaubten, sie spioniere umgedreht IN Palitan für Kintai. In jedem Fall war sie in der High Society wie der Halbwelt beider Städte bestens vernetzt. Die Einladung galt für ein Treffen in der „Seidenfalterpagode“, einem Vergnügungspalast der besseren Sorte, an dem Jiao Anteile besaß. Es war eines der Häuser, wo die Bezahlung oft über „Geschenke“ geregelt wurde und die „geschäftlichen Arrangements“ teilweise über Monate oder länger Bestand hatten. Luo war etwas nervös wegen der starken Position der „13 Blätter“ im Vergnügungsviertel, doch natürlich würde er Hao und Ren begleiten.
Das mehrstöckige Gebäude lag am Rande des Vergnügungsviertels und verfügte über einen gepflegten Garten. Überall schwebten seidene Schmetterlinge, die an dünnen Bändern befestigt waren, im Wind tanzten und ein leises Rascheln erzeugten. Die Bediensteten – viele von ihnen zhoujiangischer Herkunft – waren zumeist sehr hübsch, unter dem Hilfspersonal waren auch viele Jungen und Mädchen.
Der Argwohn Luos wurde noch gesteigert, als man die Abenteurer aufforderte, ihre Waffen abzugeben. Allerdings wäre ein Anschlag in einem so bekannten Haus recht gewagt gewesen, und Hao und Ren waren dank ihrer Magie auch unbewaffnet nicht wehrlos. Aber die drei waren doch zurückhaltend, die angebotenen Erfrischungen anzunehmen, während sie warteten, zu Madame Jiao vorgelassen zu werden.   

Die Kurtisane empfing die Helden in einem Zimmer im dritten Stock, das einen guten Blick auf den Garten bot. Ihre kostbare Kleidung und ihre verschlungen Tätowierungen in Form von Drachen, Schlangen oder Fischen (?), die sich zu bewegen schienen, verliehen ihr eine beeindruckende, vielleicht auch ein klein wenig beunruhigende Aura. Nach kurzem Smalltalk, bei dem sie die Fähigkeiten der Abenteurer lobte, sich in besserer wie zwielichtiger Gesellschaft zu bewegen, kam sie zur Sache. Sie wünschte diskrete Hilfe: Bedauerlicherweise sei ein Geldgeber des Hauses vor einer Woche im Vergnügungsviertel ermordet worden. Es handelte sich um Shigamura Nobutaro, ein Mitglied der heimischen Händlerkaste. Er war weniger Selfmademan als Erbe des Vermögens seines Vater Shigamura Nabutada, der mit dem Sarnburg-Handel über die Seidenstraße reich geworden war. Nobutaro hatte das Vermögen investiert, unter anderem in mehrere Objekte im Vergnügungsviertel. Jiao wünschte eine Ermittlung, ohne dass ihr Name als Auftraggeberin genannt wurde. Die Abenteurer sagten zu, ohne um ihre Belohnung zu feilschen. Sie gingen davon aus, dass der Einfluss einer Frau wie Jiao nützlich sein konnte, und hatten auch nicht viel Vertrauen in die einheimischen Behörden.
Nobutaro hatte wegen seiner Verbindungen zum Vergnügungsviertel auch Kontakte mit den Triaden gehabt, namentlich zu den „13 Blättern“, obwohl er sie verachtete. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder. Seine Ehefrau Eiko gehörte ebenfalls einer Händlerfamilie an. Jiao wusste sonst wenig über sein Privatleben, auch von Feinden war ihr nichts bekannt. Sie hatte den Tatort nicht gesehen und wusste auch keine Details – nur, dass es keine saubere Sache gewesen war. Die Helden fragten im Pavillon noch etwas über das Mordopfer herum. Nobutaro hatte das Haus gelegentlich besucht, um zu trinken, zu spielen (wobei er mehr verlor als gewann), und auch andere…Vergnügungen…in Anspruch zu nehmen. Allerdings hatte er unter den Angestellten einen schlechten Ruf. Sein Verhalten hatte Grenzen überschritten, für die man einem normalen Besucher die Tür gewiesen, und vermutlich auch langfristig die Rückkehr verwehrt hätte.

Es war schon spät am Abend, doch die Abenteurer wollten sich noch den Tatort anschauen. Hao und Luo waren dank ihrer Magie in der Lage, auch im Dunkeln gut zu sehen. Geführt von Luo fanden sie schnell den Ort des Geschehens. Natürlich waren alle Spuren bereits kalt, und was sich an Fußabdrücken in der Seitengasse verewigt hatte, bot keinen hilfreichen Hinweis. Es war eine ziemlich trostlose Umgebung – eine schmale Gasse, auf der einen Seite ein Lagerhaus, auf der anderen die Rückseite einer Sakeschänke. Was hatte der Tote hier gemacht – war er vielleicht hergelockt worden? Trotzdem die Tat schon eine Woche zurücklag, fanden sich noch immer Blutspritzer. Offenkundig war der Angriff überaus brutal erfolgt, zunächst als das Opfer stand. Möglicherweise war schon dabei ein tödlicher Treffer erzielt worden, doch der Täter hatte nicht vom Opfer abgelassen, als es lag. Dies deutete auf persönlichen Hass hin – oder jemand wollte zumindest den Eindruck erwecken. Ren wob einen Zauber, um Geister aufzuspüren, doch es gab keine Anzeichen jenseitiger Wesen in der Nähe. Man würde auf klassische Art und Weise ermitteln müssen.

Dies geschah am nächsten Tag, wobei sich Luo mit seinen guten Straßenkontakten bewährte. Er erfuhr, dass Überfälle im Vergnügungsviertel eigentlich kein Problem waren. Gerade wohlhabende Kunden wie Nobutaro waren normalerweise sicher, da die Beute den potentiellen Ärger kaum wert war. Die Einheimischen schoben die grausame Tat auf eine Privatfehde oder geschäftliche Konflikte. Die Leiche war von einem Bettler gefunden worden, den die Behörden umgehend festgesetzt hatten – als Zeuge oder als potentiellen Verdächtigen/Sündenbock. Man trauerte dem Toten nicht nach, da er als gefährlich galt, besonders für junge Frauen. Es war bekannt, dass er mit den „13 Blättern“ Kontakte gehabt hatte. Allerdings herrschte Uneinigkeit, ob Nobutaro mit ihnen Geschäfte machte oder in Streit mit der Triade lag. Ein Name, der mehrfach auftauchte, war Maeda Nagato, der Betreiber des Spielhauses/Bordells, mit dem Luo einige Wochen zuvor eine unerfreuliche Begegnung gehabt hatte.

Die Abenteurer beschlossen, die Familie des Toten zu kontaktieren. Sie hofften, so neben Informationen einen „offiziellen“ Auftrag zu erhalten, hatte die Kurtisane sie doch um Verschwiegenheit gebeten. Nabutaro hatte in einem besseren Viertel Atasatos gelebt. Es kostete Hao und Ren etwas Mühe, ein Gespräch mit der Witwe zu arrangieren. Sie war mit Mitte Dreißig deutlich jünger als ihr zwanzig Jahre älterer Ehemann. Eiko war misstrauisch, doch gelang es Hao, sie zu überzeugen. Im Grunde hatte sie ähnliche Motive wie Jiao, da sie Schande und Schaden von ihrem Haus abhalten wollte. Sie hatte um die Ausflüge ihres Mannes in das Vergnügungsviertel gewusst. Die Beziehung der Eheleute schien nicht die engste gewesen zu sein. Von Feinden und Rivalen wusste Eiko nichts. Sie misstraute Nobutaros Kontakten zu den „13 Blättern“. Ihr Ehemann hatte Leibwächter beschäftigt, sie aber auf seinen Besuchen im Vergnügungsviertel nicht mitgenommen. Sie bestand darauf, dass Luo sich aus dem Zimmer entfernte, als sie mit Hao und Ren weitere Details besprach. Offenbar wusste sie um die zweifelhaften sexuellen Neigungen ihres Ehemanns und legte begreiflicherweise wenig Wert darauf, dass diese bekannt würden. Bei seinen Geschäften hatte er letztlich leine glückliche Hand gehabt. Sie gestatte den Abenteurern, sich im Arbeitszimmer des Toten umzusehen.

Luo fand dort eine gute versteckte Sammlung anrüchiger Zeichnungen, die mit Dingen wie Fesselungen und ähnlichen Vorlieben zu tun hatten. Die Abenteurer argwöhnten, dass der Tote noch düstere Geheimnisse verbarg. Luo beschloss die Bilder zu entfernen – einerseits war der Familie nicht gedient, wenn sie diese fanden, andererseits hoffte er, vielleicht den „Künstler“ oder Verkäufer ermitteln zu können. Hao ging mit Rens Hilfe die Geschäftspapiere durch. Offenbar war die Seidenfalterpagode nicht die einzige Investition Nabutaros im Vergnügungsviertel gewesen. Auch Maeda Nagatos Spielhaus/Bordel hatte dazu gehört, und die beiden hatten wohl auch illegale Geschäfte gemacht. Es lag nahe, dass der Tote auch in den Menschenhandel involviert gewesen war. Allerdings hatte Nagato ihn anscheinend übervorteilt oder die Geschäfte waren nicht gut gelaufen. Es fanden sich zudem Hinweise, dass Nobutaro mehrere Beamte in der Tasche gehabt hatte.
Auf Luos Anregung unterhielten sich die Abenteurer noch mit dem Leibwächter Nobutaros. Dieser, ein kräftiger Mensch namens Ito, hatte freilich wenig zu erzählen. Der Meister war in letzter Zeit etwas paranoid gewesen und hatte seinen zweiten Leibwächter entlassen, weil er ihm nicht mehr traute. Dass er sich dennoch hatte in die Falle locken lassen, war merkwürdig. Allem Anschein nach war es auch finanziell nicht mehr so gut gelaufen, auch wenn die Familie von Armut weit entfernt war. Über mögliche direkte Feinde wusste Ito nichts.

Am dritten Tag der Ermittlungen stand eine Kontaktaufnahme mit den Behörden auf dem Programm. Wie die Abenteurer dank Luos Kontakte erfuhren, verfügte das Vergnügungsviertel wie jeder Bezirk Atasatos über eine eigene Wachstube. Diese Stationen waren für die allgemeine Ruhe und Ordnung zuständig, gingen gemeldeten Unregelmäßigkeiten nach und fungierten als Überwacher für Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen. Sie waren jeweils mit einigen Wachleuten und ein oder zwei niederen Beamten besetzt. Schwerwiegende Vorfälle wurden nach oben weitergemeldet, woraufhin der fürstliche Hof einen höheren Beamten abstellen konnte.
Da anzunehmen war, dass die Sicherung des Tatorts in den Händen der örtlichen Station gelegen hatte, beschlossen die Abenteurer, diese zuerst zu kontaktieren. Es hieß freilich, dass die Männer und Frauen zusätzlichen „Anreizen“ nicht abgeneigt waren und Kontakte zum organisierten Verbrechen hatten. Leiter der Dienststelle war gegenwärtig ein Schwertalb namens Midori Kunji. Für die Ermittlungen hatte der Fürstenhof Watada Hideori abgestellt. Dieser galt als korrekter, vielleicht etwas steifer Beamter. Er hatte schon mehrere Fälle gelöst und besaß Kontakte bei Hofe wie bei den Handelsherren. Generell galt er als niemand, der nur nach einfachen Lösungen suchte.
Ren und Hao konnten ein Treffen mit Kunji arrangieren. Ebenso verabredeten sie sich mit Toba, einem menschlichen Wachmann, der beim Fund der Leiche zugegen gewesen war. Sie wollten sie außerhalb der Dienstzeiten in einem Restaurant bzw. einer Sakeschänke treffen, was natürlich bereits eine dezente Form der Bestechung darstellte.

Bis zu den Treffen am späten Nachmittag war noch Zeit. Hao beschloss, bei Maeda Nagato vorbeizuschauen. Das Spielhaus/Bordell des Triadenkontakts des Mordopfers war deutlich „rustikaler“ als die Seidenfalterpagode: hier wurde viel offener getrunken (und andere Dinge konsumiert), gespielt und diversen Vergnügungen nachgegangen. Ren blieb dem Treffen fern, da sie annahm, sie und Luo hätten sich bei den „13 Blättern“ mit ihrem Vorgehen gegen den Menschenhandel unbeliebt gemacht. Leider machte dies keinen Unterschied. Hao eckte mit ihren Fragen sofort an. Sie wurde unsanft hinausgeworfen und dabei auch noch bestohlen. Hao konnte die Beschatter abschütteln, die man ihr hinterhergeschickt hatte, doch jede weitere Befragung war dadurch erst einmal unmöglich.
Das Treffen mit den Beamten lief besser. Die Abenteurer erfuhren, dass Nobutaro die Kehle durchgeschnitten und er zudem kastriert worden war. Offenbar hatte man auch all seine Habe und Kleider entwendet. Solche Gewalt war im Vergnügungsviertel extrem selten – zumindest gegen begüterte Kunden. Die Verstümmelung deutete auf starken Hass und auf eine Verbindung mit den „Vorlieben“ des Toten hin - oder jemand wollte diesen Eindruck erwecken. Die Leiche war von einem Säufer namens Ru gefunden worden, einem ehemaligen Seemann. Er war zutiefst erschüttert gewesen und hatte wirres Zeug von einem „Leichentuch“ gefaselt. Hideori hatte den Zeugen festgesetzt. Der Tote sei nicht beliebt gewesen, aber nicht so verhasst, dass seine Ermordung zu erwarten gewesen wäre.

Als die beiden Frauen nach den Gesprächen ihrem Quartier zustrebten – einem Gasthaus in einem Viertel mit hohem Anteil zhoujiangische Exilanten – meinte Hao, aus den Augenwinkeln einen Verfolger zu bemerken. Ren hatte zwar nichts gesehen, aber durch das vorherige Gespräch misstrauisch geworden, wirkte sie umgehend Magie. Ein Blick in die Geisterwelt ließ sie erkennen, dass ein Todeswesen nahe war. Sie versuchte es durch „Geisterhaftes Leuchtfeuer“ anzulocken, doch die Verbindung wurde unterbrochen. Sie nahm an, dass der Geist sich der Anziehung widersetzt, oder ein beschworenes Todeswesen sich ihr auf Befehl seines Meisters entzogen hatte.

Am nächsten Morgen bereiteten sich Ren und Hao auf das Gespräch mit Watada Hideori vor. Beide legten formelle Kleidung an, und dank des diplomatischen Geschicks der Unggoy-Priesterin gelang es ihnen, vorgelassen zu werden. Hideori war keine besonders auffällige Erscheinung. Er achtete auf ein gepflegtes, aber nicht extravagantes Auftreten. Das schmale Gesicht wies die klassischen Züge kintarischer Alben auf, nur seine Frisur war sehr kunstvoll. Er begegnete den Abenteurern misstrauisch und ließ seine Sekretärin überprüfen, ob sie wirklich einen Auftrag der Familie des Toten besaßen. Offenbar hatte er Zweifel, ob ihre Motive mit den seinen übereinstimmten. Doch schließlich kam man auch dank des guten Rufs der Abenteurer überein, zu kooperieren. Die Information der Abenteurer, dass ein Geist auf die eine oder andere Weise involviert war, schien ihn in jedem Fall zu überraschen, auch wenn er das gut verbarg. Hideori schien ein Skeptiker gegenüber dem Übernatürlichen zu sein. Er hatte gleichwohl Tatort und Leichnam auf Zauberei überprüfen lassen, und tatsächlich entsprechende Hinweise gefunden – leider zu schwach, um sie zuzuordnen. Dem Opfer war die Kehle von hinten mit einem einzigen Schnitt durchtrennt worden, wobei er keinerlei Abwehrversuche unternommen hatte. Die Wunde hatte ihn mit Sicherheit daran gehindert zu schreien, doch war erstaunlich, dass der Angreifer oder die Angreiferin so nahe hatte herankommen kommen können. Auffällig war, dass man neben der nackten, verstümmelten Leiche eine vertrocknete weiße Chrysantheme gefunden hatte, die der Beamte aufgehoben hatte. Es war vermutlich eine Botschaft. allerdings war die Chrysantheme eine vieldeutige Blume – sie fand bei Beerdigungen Anwendung, stand aber auch für den Adel oder die Wiedergeburt. Und schließlich – wie Hao später herausfand – gab es ein sehr teurer Getränkt, das im Vergnügungsviertel ausgeschenkt wurde und Chrysanthemen enthielt. Zudem gab es einige Kurtisanen, die sich nach den Blumen benannten – von einer „weißen Chrysantheme“ wusste allerding niemand etwa.

Hideori erlaubte den Abenteurern, mit Ru zu sprechen, den er in der Quarantänestation des Hafens untergebracht hatte. Auf dem Weg dorthin wurden sie von einer Frau beschattet, offenbar einem niedrigrangigen Mitglied der „13 Blätter“. Luo verscheuchte sie ohne größere Mühe, blieb aber wachsam.
Der Zeuge war auf der Quarantänestation offenbar alles andere als beliebt, da er nur Ärger machte. Ru war ein Zwerg, der nicht nur ziemlich verlebt wirkte, sondern auch unter erheblichen Stress, ja Angstzuständen litt. So ließ er mit dem ersten Anzeichen der Dunkelheit stets ein Licht in seinem Zimmer brennen. Es kostete Hao und Ren einige Mühe, ihn zum Reden zu bringen, und auch dann blieben seine Angaben wirr. Ru erzählte, er habe das Opfer die Gasse betreten sehen. Bei ihm sei jemand gewesen, und doch auch wieder nicht. Ru habe etwas gehört, und doch zugleich nichts gehört, und als er die Gasse betrat, war da ein Leichentuch über dem Toten, und doch zugleich nicht. Seitdem glaubte er sich aus den Schatten beobachtet, doch da sei niemand…
Ren besaß einige Kenntnisse über derlei Dinge. Was auch immer dem Seemann begegnet war, musste wahrhaft furchteinflößend gewesen sein. Das schreckliche Antlitz eines Gamji oder ein mächtiges Feenwesen mochte solche Auswirkungen haben. Mächtige Feenmagie oder Zauberei mochten zudem seine Sinnesverwirrung erklären.
Alles in allem vereinte das Verbrechen Elemente, die nicht recht zueinander zu passen schienen. Die magischen Elemente kontrastierten mit dem Diebstahl der Kleider und Besitztümer des Toten, und die meisten Geister töteten blutärmer und verstümmelten ihre Opfer nicht derart brutal.
Die Abenteurer stellten sich auf jeden Fall darauf ein, dass auch sie in Zukunft nicht nur von den „13 Blättern“ beschattet werden mochten. Sie überlegten, ob man bei den Hehlern Atasatos nach den Habseligkeiten des Toten suchen könnte, machten sich aber nicht zu viel Hoffnung. Luo regte an, Madame Jiao vom Stand der Ermittlungen zu informieren und suchte die Seidenfalterpagode auf, wobei er auf mögliche Verfolger achtete. Allerdings war die Auftraggeberin gerade abwesend.

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Ankündigungen / Re: Splittermond Abenteuerwettbewerb 2025
« am: 20 Aug 2025, 21:53:10 »
Schade (auch weil es wegen der größeren Vielfältigkeit schön gewesen wäre). Aber der nächste Wettbewerb kommt bestimmt. ;D Ich habe eine angefangene Adventsgeschichte auch schon mal ein ganzes Jahr liegenlassen... ;)

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Ankündigungen / Re: Splittermond Abenteuerwettbewerb 2025
« am: 01 Aug 2025, 11:22:42 »
Das sind mehr als ich gedacht habe (ich hatte eher 15 vermutet). Neunzehn klingt doch gut: Genug, damit Abwechslung dabei ist, aber nicht so viel, dass die Juroren Überstunden einlegen müssen. ;)

Ich bin gespannt auf das Ergebnis! Welche Regionen alle dabei sind, was für Abenteuer... Und natürlich v. a. wer gewinnt. ;D Ich rechne mal aber nicht vor Ende August oder September damit... ;)
Und ich hoffe, dass auch die Abenteuer, die nicht das Rennen machen, dann irgendwann zugänglich sein werden. ::) 

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Der Sammler
Atasato und Umgebung, Kintai (Akira, Luo, Ren, Takur)

Die Helden suchten immer noch nach Artefakten, um den Gedankenkristall beim Zirkel der Zinne auslösen konnte, den Takur zurückzuholen vor Jahren aus dem Jaguardschungel aufgebrochen war. Dabei stießen sie auf Gerüchte über einen örtlichen Privatsammler von Drachlingsartefakten, aber die Nachforschungen gestalteten sich schwierig. Schließlich konnten Ren und Luo ermitteln, dass der Sammler Zakur Saburo zwar zu einem der großen Klans Kintais gehörte, sich aber mit seiner Familie zerstritten hatte und vor etwa zehn Jahren verschollen war. Vor seinem Verschwinden war er immer paranoider geworden. Sein Anwesen in Atasato stand leer und galt als verflucht. Die Helden durchsuchten das Haus und stießen auf Blutspuren, die jüngeren Datums zu sein schienen. Außerdem fanden sie einige alte Dokumente, die allerdings teilweise verschlüsselt oder in einer unbekannten Sprache verfasst waren.
Auf Rens Vorschlag warteten die Helden bis zum Anbruch der Dunkelheit, damit die Magierin eventuell in dem Anwesen spukende Geister herbeirufen konnte, auch wenn weder Akira noch Takur von der Idee begeistert waren. Tatsächlich zeigte sich ein Geist. Ren konnte die unheimliche Phantomfrau, deren Gesicht vollkommen unter ihren Haaren verborgen blieb, zur Kooperation bewegen – obwohl diese offenbar wiederholt „unbefugte“ Eindringlinge angegriffen oder gar getötet hatte. Vermutlich stammten die von den Helden gefundenen Blutspuren von einem Obdachlosen, der den Zorn der Geisterfrau geweckt hatte. Widerwillig gab sie den Helden Auskunft: Saburo hatte seine Schätze irgendwann an einen „sicheren“ Ort gebracht, bevor er verschwunden sei. Die Geisterfrau wusste nicht, wo das Versteck Saburos lag, wies die Helden aber auf eine verborgene Karte hin.
Die von den Helden gefundenen Schriftstücke bestätigten die Geschichte des Geistes teilweise, auch wenn die Helden nicht alle Dokumente entschlüsseln oder übersetzen konnten. Beunruhigend waren die Hinweise auf Fallen und einen Golem, den Saburo zur Bewachung seiner Schätze nutzen wollte. Bei diesem handelte es sich wohl um ein drachlingisches Artefakt. Derart vorgewarnt besorgten sich die Helden eine Schriftrolle, mit der sie (hoffentlich) auf dem Golem liegende Aktivierungszauber würden neutralisieren können.

Die Reise zu Saburos Versteck würde mehrere Tage dauern. Trotz der Karte war es nicht einfach, den Weg zu finden. Aber es gelang Takur, die Helden sicher durch die Wildnis zu führen. Nach vier Tagen standen sie vor dem (vermutlichen) Ziel ihrer Suche. Offenbar war es Saburo bei der Anlage seines Domizils vor allem um Abgeschiedenheit gegangen: Das Haus war in die Flanke eines niedrigen Felsmassiv gebaut worden und vom Boden nur durch eine hölzerne Treppe zu erreichen, die inzwischen zerfallen war. Die Helden beschlossen, statt einen Aufstieg zu riskieren, lieber an einer gangbaren Stelle den Felshügel zu besteigen und sich zu Saburos Versteck abzuseilen. Vielleicht drohten auf diesem Weg auch weniger Fallen…

Der Aufstieg fiel besonders Ren schwer, weshalb die Helden das Abseilen zu Saburos Domizil auf den nächsten Tag verschoben. Eine vorbereitende Erkundung des Terrains enthüllte allerdings, dass die Felswand von zahlreichen Höhlen durchsetzt war, in denen aggressive Flugwesen (Flederwölfe?) hausten. Dennoch wagten die Helden am nächsten Tag den Abstieg. Wie befürchtet weckte der sich als erster abseilende Takur das Interesse zweier der Kreaturen. Doch die wütende Gegenwehr des Jaguarkriegers und die Pfeile und Brandzauber seiner Gefährten zwangen die Monster zum Rückzug. Takur erreichte das Dach – stellte allerdings fest, dass der paranoide Saburo dort Fallen installiert hatte. Zum Glück konnten die Helden diese umgehen. Nur Ren verletzte sich leicht.
Luo knackte das Schloss und die Helden spähten in das Innere des Hauses. Im Eingangsbereich erblickten die Helden den – momentan noch inaktiven – Golem. Sie beschlossen, kein Risiko einzugehen und Ren setzte die Spruchrolle ein, die hoffentlich eventuell auf dem Golem liegende Aktivierungszauber neutralisieren würde. Tatsächlich rührte sich das Konstrukt nicht, als die Helden ins Innere der Anlage vorstießen. Diesmal war es Akira, der einige im Fußboden installierte Fallen bemerkte. In dem kleinen Wohnbereich fanden die Helden die sterblichen Überreste Saburos, der schon einige Jahre tot sein musste. Eine Durchsuchung des Toten förderte einen Schlüssel zutage, der den Helden den Zugang zu Saburos Sammlung gewährte. Die Beute war beeindruckend: mehrere drachlingische Waffen und Panzerteile, etliche (vermutlich magische) Artefakte sowie zwei drachlingische Gedankenkristalle. Einige der Stücke in Saburos Sammlung waren freilich – wie der Golem – zu groß, um mitgenommen zu werden. Die Helden rafften zusammen, was sie tragen konnten, vergaßen aber auch nicht, alle Schriftstücke sowie Saburos sterbliche Überreste mitzunehmen. Der Rückweg nach Atasato verlief ereignislos.

Nun stellte sich die Frage, wie mit den Fundstücken verfahren werden sollte. Zuerst einmal wollten die Helden ihre Beute untersuchen, wobei sie mit den Gedankenkristallen begannen. Dass es sich bei dem ersten Gedankenkristall vor allem um „Erinnerungen“ an drachlingische Theaterstücke handelte, war eine kleine Enttäuschung. Ren bezweifelte, dass man mit diesem Artefakt den von Takur gesuchten Kristall würde auszulösen können. Bei dem zweiten Kristall war sie noch erfolgreicher und erhielt eine Fülle von Informationen zu dem Handel der Drachlinge mit dem legendären (aber inzwischen seit Jahrhunderten untergegangenen) Reich von Sangai sowie zu der gefährlichen Seeroute zu dem untergegangenen Reich. Die detaillierten Informationen wären eine wahre Fundgrube für all jene, die sich auf die Suche nach dem sagenumwobenen Inselreich machen würden. Takur war sehr beeindruckt. Er meinte, dass die beiden Kristalle womöglich schon genug seien, um ihm die Rückkehr in seine Heimatstadt zu ermöglichen.
Bei der Identifikation und Analyse der übrigen Fundstücke waren die Aufzeichnungen Zakur Saburos eine große Hilfe. Die Helden fanden heraus, dass die gefundenen Drachlingswaffen nicht magisch, sondern nur als Sammlerstücke interessant waren. Mehrere andere Fundstücke waren hingegen verzaubert:
-   Eine Flöte, die die Wirksamkeit von Aura-Zaubern verstärkte
-   Ein Gefäß, welches als Strukturgeber für den Zauber „Wahrer Blick“ funktionierte, wenn man es mit Wasser füllte
-   Ein Amulett, das den geistigen Widerstand stärkte
-   Ein weiteres Amulett, welches Kampfzauber verbesserte
-   vermutlich am wertvollsten war ein Armreif, mit welchem man aus einer Feenwelt zurück in die Realität reisen konnte.
Die Helden verkauften die Drachlingswaffen und das Kampfzauber-Amulett und teilten den Rest der Artefakte auf: Takur nahm die Flöte, Akira das Geiststärkungsamulett, Ren das magische Gefäß und Luo den Armreif. Alles in allem war die Expedition ein großer Erfolg gewesen.
Die sterblichen Überreste Zakur Saburos wurden seiner Familie übergegeben, die auch über die Geisterfrau und ihre Wacht über das Haus des Sammlers informiert wurde. Ren setzte zudem durch, dass die Helden Prinzessin Hui Amui von der Expedition in Kenntnis setzten. Die immer noch in dem Versteck Saburos befindlichen sperrigeren Relikte und der Golem würden hoffentlich der Sache der Kaiserlichen dienlich sein. Die Prinzessin dankte den Helden, auch wenn eine Bergung schwierig werden würde.

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Allgemeines / Re: Autorentreffen 2025
« am: 20 Jul 2025, 12:46:51 »
Seefahrt würde auch sehr gut die Suderinseln, Mahalu und (tw.) dem Mertalischen Städtebund (wegen der großen Flotte) ergänzen. Ich bin gespannt und hoffe auf die Möglichkeit einer Piratenkampagne... ;D

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Allgemeines / Re: Autorentreffen 2025
« am: 19 Jul 2025, 13:23:13 »
Ich fände es fantastisch, falls der Süden auch mal mehr "Futter" - und am besten einen Regionalband  ::) - bekämen. Das wäre dann also der "nördliche Teil" der Südlande...

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Wenn Kinderstimmen ausbleiben (Spoiler für das gleichnamige halboffizielle Abenteuer)
Atasato und Umgebung, Kintai (Akira, Hao, Takur)

Auch wenn es noch einige Monate bis zum Start der „Seidenen Stadt“ waren, der alle fünf Jahre in Richtung der Hauptstadt Senrai startenden Tribut- und Handelskarawane, spürte man in Atasato bereits die damit verbundene Anspannung. Die „Seidene Stadt“ würde nicht nur aus Kintarai bestehen, sondern auch Händler aus Zhoujiang und anderen Ländern umfassen. Das stieß jedoch nicht bei allen Kintarai auf Zustimmung.
Etliche der Helden wollten sich dem Zug anschließen. Ren und Luo waren hingegen vor allem damit beschäftigt, Prinzessin Hui Amui auf dem politischen Pflaster Atasatos zu unterstützen. Hao hatte hingegen erst einmal genug von der Bürgerkriegspolitik Zhoujiangs. Die Prinzessin ging nach Haos Meinung zu große Risiken ein. Die „Seidene Stadt“ und die den Handelszug umgebenden Geschichten erschienen Hao weniger bedenklich. Akira erhoffte sich durch eine Teilnahme Ansehen für sich selbst und seine Familie – und war natürlich daran interessiert, die legendäre Hauptstadt seines Heimatlandes kennenzulernen.

Die „Seidene Stadt“ wurde immer von einem Mitglied des Suguri-Klans geführt, der die Seefahrt, den Handel und die Außenpolitik Kintais dominierte. Die Suguri stellten auch das Kommando des Begleitschutzes der „Seidenen Stadt“. Da dieser allerdings aus verschiedenen (teilweise verfeindeten) Klans kam, waren Spannungen üblich. Angeblich sollte in diesem Jahr eine neue „Stadtherrin“ den Zug anführen. Die „Seidene Stadt“ umfasste üblicherweise etwa 2.000 Personen, davon etwa 200 Wachleute plus den Begleitschutz der einzelnen Händler. Eine der wichtigsten Händlerinnen würde Kikisho Midori sein, eine silberhaarige albische Waffenhändlerin. Es war nicht billig, sich dem Zug anzuschließen. Falls die Helden sich nicht einkaufen wollten, würde das Anheuern bei den Wachtruppen oder die Aufnahme in das Gefolge eines der Teilnehmenden die beste Alternative sein. Akira versuchte zu diesem Zweck, Kontakt mit der Ritualwächterin der „Seidenen Stadt“ zu knüpfen. Allerdings war Uome Satomis Klan mit Klan Ranku (Akiras Lehensherren) verfeindet, was sie ihn deutlich spüren ließ. Bei dem Versuch, die Wogen zu glätten, machte der junge Krieger die Sache nur schlimmer und schaffte es, sich eine Feindin zu machen. Das würde es nicht erleichtern, einen Platz in der „Seidenen Stadt“ zu finden…
Da bereits eine Anzahl von Gefolgsleuten der verschiedenen Klans in Atasato eingetroffen war, kam es verstärkt zu Reibereien zwischen den verfeindeten Gruppen. Die Helden hielten sich heraus. Nur Akira versuchte, die Wogen zu glätten. Zum Glück war er dabei erfolgreicher als bei Uome Satomi.

Doch selbst der beherrschte junge Krieger verlor die Fassung, als eines der berühmt-berüchtigten Schildkrötenschiffe Kungaitans an Atasato vorbeifuhr und mit seinen Kanonen „Salut“ schoss. Nicht nur Akira hielt das für eine dreiste Provokation. Während Akira wütend dem Schiff hinterherfluchte, war Hao beunruhigt. Die zhoujiangische Affenpriesterin fragte sich, warum die Kungaiki Kintai so offen brüskierten. Sie fürchtete, die Spannungen zwischen Kintai und Kungaitan könnten ihrer durch den Bürgerkrieg gebeutelten Heimat schaden. Akira vermutete, dass die Aktion der Kungaiki eine Warnung an jene Kintarai war, die politische Interessen in Zhoujiang verfolgten. Allerdings konnte das leicht ins Auge gehen…

Einige Tage später lief ein übel zugerichtetes Transportschiff in Atasato ein. Angeblich hatten Harpyien das Schiff attackiert. Die Helden kannten zwei der Passagiere: Suguri Hanako und ihr Ehemann Kenji. Die Helden hatten die schwangere Kintarai-Botschafterin in Timog kennengelernt und ihr geholfen, einen wertvollen Mondstahl-Wurfspeer zu bergen. Dabei waren die Helden mit Harpyien aneinandergeraten – bestand da ein Zusammenhang? Zwar war das Ehepaar unverletzt, doch einer ihrer Leibwächter war tot, während der andere nach dem Zusammenstoß mit Harpyien gekündigt hatte.
Die hochschwangere Hanako fürchtete nun, dass die Harpyien sie erneut angreifen könnten. Eigentlich hatte sie vorgehabt, für ihre baldige Niederkunft zu dem Anwesen ihrer Familie weiterzureisen, doch das schien nun riskant. Die Helden erklärten sich bereit, ihrer Bekannten zu helfen.
Die Helden überlegten, wie sie sich am besten aus der Stadt schmuggeln konnten, falls die Harpyien das Umland durchstreiften. Sie kamen auf die Idee, sich nachts aus der Stadt zu schleichen und in den folgenden Tagen tagsüber in Deckung zu bleiben. So würden sie die tagaktiven Harpyien hoffentlich in die Irre führen.
Hao hatte bereits ein Reittier, Akira musste sich eines ausleihen. Leider kam er mit der Stute Inu (was in Kintial „Hund“ bedeutete) nicht gut zurande. Takur weigerte sich, auf ein Pferd zu steigen. Als ausdauernder Langstreckenläufer würde er auch zu Fuß mithalten können. Ansonsten bestand die Gruppe aus Hanako, ihrem Ehemann sowie ein paar Bediensteten.

Von Takur unterstützt, leitete Hao die Gruppe sicher und die Nachtmärsche verliefen ereignislos. Das Wetter war allerdings recht unfreundlich – immerhin war Winter. Hao als versierte Heilerin behielt ein wachsames Auge auf die hochschwangere Hanako, aber diese schien die Reise gut zu verkraften. Die Helden erfuhren von ihr über das Ziel der Reise dass Hanakos Familie bereits seit mehreren Generationen als Verwalter der kleinen Siedlung nahe dem Jadeband diente. Momentan lebten Hanakos Eltern und ihr Bruder Hasame dort, dessen Ehefrau ebenfalls kurz vor der Niederkunft stand. Allerdings war der Frieden brüchig, da eine auf dem Gebiet liegende Zollfeste die Begehrlichkeit von Gankoda Saburo geweckt hatte. Die Helden hatten schon das ein oder andere Mal mit den Gefolgsleuten des ambitionierten Daimyos zu tun gehabt.
Einige Tage vom Ziel entfernt, fanden die Helden eine verwundete Goldamsel. In Kintai waren die anmutigen und zierlichen Tiere als Jagdvögel beliebt. Hao konnte das Tier beruhigen und mit einem Zauber heilen. Dabei stellte sie fest, dass das Tier ein Band trug, welches mit dem Wappen der Gankoda geschmückt war. Die Helden nahmen das genesene Tier mit. Sie hofften, es bei Gelegenheit den Eigentümern zurückgeben zu können.

Dazu erhielt Hao früher Gelegenheit als gedacht. Am übernächsten Tag hörten die Helden zu ihrer Überraschung Gewehrsalven. Takur entschloss sich kurzerhand, einen Spähgang zu wagen. Der Jaguarkrieger entdeckte mehrere hundert Bewaffnete, die bei einem kleinen Dorf ein Militärlager errichtet hatten und trainierten. Die meisten der Anwesenden waren Ashigaru, einfache Soldaten aus der (ländlichen) Unterschicht, die mit Spießen (Yari), Schwertlanzen (Naginata), Bögen oder Drachenrohren bewaffnet waren. Dazu kam eine Reihe schwertalbischer Unteroffiziere und Offiziere. Über dem Ganzen wehten die Banner des Daimyo Gankoda Saburo – obwohl das Dorf eigentlich zu dem Gebiet des Suguri-Klans gehörte.
Unentdeckt kehrte Takur zu seinen Gefährten zurück und erstattete Bericht. Suguri Hanako bestand darauf, in Erfahrung zu bringen, was diese Zusammenziehung militärischer Macht bedeutete, auch wenn weder Kenji noch Hao angesichts Hanakos fortgeschrittener Schwangerschaft davon begeistert waren.

Die Reisegesellschaft näherte sich offen dem Militärlager und wurde wachsam, aber nicht misstrauisch empfangen. Offenbar waren die Soldaten und Offiziere nicht der Meinung, etwas verbergen zu müssen. Die Gruppe fand mit einiger Mühe Quartier in dem Dorf, da aufgrund der Überfüllung die Preise hoch und der Platz knapp waren. Hao und Akira begannen, sich umzuhören. Haos Recherchen wurden dadurch erleichtert, dass sie Gankoda Keita, einem hochrangigen Offizier der Streitmacht, seine Goldamsel zurückgeben konnte, die ihm einige Tage zuvor abhandengekommen war. Keita belohnte die Finderin und Heilerin des Jagdvogels großzügig. Er und Hao fachsimpelten ein wenig über das Halten und das Abrichten von Vögeln.
Die Helden fanden heraus, dass die Truppe zwar von Gankoda-Offizieren ausgebildet und befehligt wurde, tatsächlich aber auch aus Rekruten anderer Daimyos bestand. Offenbar hatte Gankoda Saburo sich als Koordinator für all jene Adligen der Region etabliert, die an den Anfragen der Triaden nach Kintarai-Söldnern interessiert waren. Gankodas Idee war wohl, die Söldner als geschlossene Einheit einzusetzen und so bessere Bedingungen auszuhandeln. Bis zu 800 gut gedrillte und ausgerüstete Ashigaru (plus schwertalbische Offiziere, Unteroffiziere und Elitekrieger) würden die Sache der Triaden deutlich stärken – und Kintai (oder zumindest Gankoda Saburo) Einfluss im Südwesten Zhoujiangs sichern. Das von vielen Kintarai als Provokation empfundene Auftreten des ebenfalls mit den Triaden verhandelnden Kungaitan verlieh dem Projekt zusätzliches Gewicht, aber auch Brisanz.
Weder Suguri Hanako noch Hao waren sonderlich begeistert und auch Akira traute den Motiven der Gankodas nicht. Hanako befürchtete zudem, dass die starke Militärpräsenz ihren nur wenige Tage entfernt liegenden Wohnort bedrohen könnte. Aber die Helden wollten nichts Riskantes unternehmen, zumal ihre eigentliche Aufgabe die Eskorte Hanakos war. So ließen sie das Militärlager hinter sich zurück, wenn auch mit Bedenken…

Der Rest der Reise verlief ereignislos und schließlich erreichten die Helden ihr Ziel: Das kleine aber wohlhabend wirkende Dorf Shimura bestand aus etwa drei Dutzend Häusern und hatte ungefähr 200 Einwohner. Ihr Auskommen fanden die Bewohner vor allem in der Landwirtschaft sowie dem Fischfang. Eine Palisade schützte die Siedlung vor Banditen. Zusätzlichen Schutz bot das befestigte Anwesen des Dorfvorstehers – zurzeit Hanakos Bruder Hasame. Der malerische Anblick wurde durch zwei weiße Banner beeinträchtigt, die über dem Vorsteher-Anwesen wehten und von einem kürzlichen Todesfall kündigten. Und tatsächlich: Zwar wurde die Reisegruppe von Hanakos Eltern und ihrem Bruder begrüßt, doch lag ein düsterer Schatten über dem Willkommen. Hasames Ehefrau Yumiko war bei der Geburt ihres Kindes verstorben. Auch das Kind hatte nicht überlebt. Beide waren vor wenigen Tagen beerdigt worden. Während Hanakos und Hasames Eltern die Fassung wahrten, war Hasame begreiflicherweise am Boden zerstört und entfernte sich rasch.
Die Unterbringung der Helden übernahm Natsumi, eine junge Albin, die trotz ihrer Jugend und anscheinend niedrigen Herkunft bei der Familie eine sehr vertrauensvolle Stellung genoss.
Bevor sie der Familie offiziell ihre Aufwartung machten, erwies Akira den Toten seine Referenz. Bei der anschließenden Teezeremonie hatte er allerdings kein Glück: Während selbst der Jaguarkrieger Takur sich perfekt an die Gebräuche anpassen konnte, entglitt Akira die Teeschale: ein böses Omen. Abgelenkt davon bemerkte er kaum, dass etwas an der Stimmung in der Familie…eigenartig schien. Trotz der traurigen Neuigkeiten bat Hanako die Helden zu bleiben. Gerade angesichts des tragischen Todes ihrer Schwägerin wollte sie eine versierte Heilerin wie Hao an ihrer Seite haben. Und eingedenk der nahen Gankoda-Militärpräsenz konnte es nicht schaden, ein paar zusätzliche Klingen zur Hand zu haben.

In den nächsten Tagen kümmerte sich Hao vor allem um Hanako, deren Niederkunft näher rückte. Dabei machte sie Bekanntschaft mit der Dorfheilerin, einer älteren, aber agilen Menschenfrau. Rasch bemerkte Hao, dass Hanako im Dorf wohlgelitten war, aber gegenüber dem Rest ihrer Familie Ressentiments zu bestehen schienen. Nach etwas Nachbohren erfuhr sie den Grund: Manche meinten, dass der Tod von Hasames Frau und Kind eine übernatürliche Ursache hatte. Hasames Vater hatte vor vielen Jahren die Mutter der derzeitigen Heilerin hingerichtet, weil ein Geschwisterkind von Hanako und Hasame bei der Geburt verstorben war. Die Dörfler fragten sich nun, was passieren würde, falls auch Hanako eine Fehlgeburt erlitt. Zusätzlich waren sie verunsichert durch die Gerüchte über die Gankoda-Truppen, zumal ihr Dorfvorsteher offensichtlich nicht in der Lage war, seinen Aufgaben nachzukommen.
Akira versuchte währenddessen vergeblich, seinen Fauxpas auszubügeln. Takur bekümmerte das alles wenig. Er erkundete lieber die Umgebung. Der Jaguarkrieger hielt die Augen nach Gankoda-Truppen und den Harpyien auf, die Hanako auf dem Jadeband angegriffen hatten. Da es für ihn und Akira nicht viel zu tun gab, waren beide gerne bereit, Natsumi auf eine Wildschweinjagd zu begleiten.

In der Nacht vor der Jagd wurde Akira davon wach, dass irgendjemand im Dunkeln ein verwehtes Wiegenlied zu singen schien. Er sah sich um, konnte aber abgesehen von einer huschenden Bewegung nichts entdecken. Etwas beunruhigt legte er sich wieder schlafen.
Am nächsten Morgen brachen Akira und Takur zusammen mit Natsumi zur Jagd auf. Hao blieb im Dorf zurück, um Hanako im Auge zu behalten. Rasch fand die Jagdgruppe die Spuren einer Wildschweinrotte, darunter ein kapitaler Keiler. Die Helden konnten sich unbemerkt anschleichen, doch lief bei ihrem Angriff einiges schief: Die Schüsse von Natsumi und Takur gingen fehl, wobei letzterer seine Speerschleuder beschädigte. Zum Glück konnte Akira den Keiler in einen Nahkampf verwickeln und dem wütenden Tier mehrere Treffer verpassen, bevor Natsumi und Takur dem Keiler den Rest gaben.

Ironischerweise erlebte Hao gleichzeitig eine ebenso dramatische Situation: Mit Hanako im Dorf unterwegs, wurden die beiden Frauen durch einen Alarmgong alarmiert, der vor dem Anrücken einer Kolonne gepanzerter Reiter warnte. Über den Köpfen des Trupps wehten die Banner der Gankodas. Hao schaffte es, das Dorftor zu schließen, doch war das eher eine symbolische Geste: Zwar waren die Bauern Teil des örtlichen Aufgebotes, doch hätten sie gegen einen entschlossenen Angriff erfahrener Krieger kaum eine Chance gehabt – zumal der gramerfüllte Hasame unfähig war, die Situation zu kontrollieren. So war es vor allem an Hanako, ihrem Mann Kenji und Hao, mit den Fremden zu verhandeln. Diese behaupteten, sich davon überzeugen zu wollen, ob Suguri Hasame angesichts der kürzlichen Schicksalsschläge noch in der Lage sei, seine Pflichten wahrzunehmen – gerade auch bezüglich der umstrittenen Zollfeste. Falls nicht, würde Klan Gankoda ihm gerne die Last abnehmen…
Das war eine unverhohlene Drohung, die entschlossen von sich zu weisen Hasame leider ebenfalls nicht fähig schien. Hanako hielt die Gankoda-Truppe hin und verwies mit Hao auf die Anwesenheit der Helden, die bereits mit Piraten und anderen Gefahren fertig geworden waren. Dennoch kündigte der Anführer der Gankoda-Patrouille eine baldige „Inspektion“ der Zollfeste an. Hao befürchtete einen direkten Angriff, aber in dieser Hinsicht schien Hanako weniger besorgt. Sie vermutete, dass die Gankodas eher auf Druck setzen würden. Falls man demonstrieren könne, dass das Dorf und die Zollfeste sicher seien, würden die Fremden hoffentlich keinen direkten Konflikt riskieren.

Die Helden waren gerne bereit, Hanako zu unterstützen. Akira half, die verängstigten Dörfler zu beruhigen und war in den nächsten Tagen am Drillen des örtlichen Aufgebots beteiligt. Um die umstrittene Zollstation zu verstärken und auf Vordermann zu bringen, wurden Natsumi und Takur dorthin entsandt. Die mit einem knappen halben Dutzend Wachleuten besetzte Station war in einem guten Zustand.
Trotzdem genug zu tun war, hatte Akira nicht das unheimliche Wiegenlied vergessen, dass er vor einigen Nächten gehört hatte. Er erzählte Hao von seiner Beobachtung. Beide hielten nachts auf dem Anwesen Ausschau, konnten aber nichts entdecken.

Dass ihre Besorgnis berechtigt war, mussten die Abenteurer am nächsten Morgen erfahren, als sie Schreie aus dem Dorf allarmierten. Eine ganze Familie war tot aufgefunden worden. Die Helden taten ihr Bestes, die Dörfler zu beruhigen, zumal Dorfvorsteher Hasame angesichts der toten Kinder völlig paralysiert schien.
Beim Durchsuchen der Hütte stellte sich Akira sehr ungeschickt an und so konnten keine Spuren gefunden werden. Haos Untersuchung der Toten brachte mehr Erkenntnisse: keine der Leichen wies Verletzungen auf. Ebenso fehlten Anzeichen auf Gift, Krankheit oder Ersticken. Das legte eine übernatürliche Todesursache nahe. Haos dahingehende Untersuchung ergab Hinweise auf hochrangige Todesmagie. Akira, dem schon die ganze Zeit eine Vermutung im Kopf herumgespukt hatte, kam zu dem Schluss, dass eine Gamji die Familie auf dem Gewissen haben musste. Diese mächtigen Geister, die ihr fürchterliches Antlitz hinter einer Maske verbargen, waren in ganz Takasadu gefürchtet. Sie nährten sich von der Lebenskraft Sterblicher und löschten nicht selten ganze Familien und Blutlinien aus. Besonders wurden sie von neugeborenen Kindern angezogen. Den Sagen nach waren die Gamji sehr heimlich, schwer aufzustöbern und schwer zu besiegen. Angeblich handelte es sich bei diesen Ungeheuern um die Geister von Ammen, denen keine eigenen Kinder vergönnt gewesen waren, oder um die Seelen von Müttern, die im Kindbett gestorben waren oder die ihr Kind bei der Geburt verloren hatten.
Akira äußerte gegenüber seinen Gefährten den Verdacht, dass es sich bei der Gamji um Yumiko oder – weniger wahrscheinlich – den Geist der hingerichteten Hebamme handelte. Allerdings würden Hasame und seine Familie es wohl kaum erlauben, die Leiche Yumikos zu exhumieren.
Hao versuchte mit mäßigem Erfolg, die verunsicherten Dörfler zu beruhigen. Währenddessen informierte Akira die Suguri über die Schlussfolgerungen der Helden. Seinen Verdacht bezüglich des Ursprungs der Gamji erwähnte er erst einmal nicht. Begreiflicherweise war vor allem die hochschwangere Hanako beunruhigt. Sie und ihr Kind waren ein naheliegendes Ziel für den Geist.
Hao wollte die Dörfler über die drohende Gefahr informieren, auch um Gefährdete besser schützen zu können. Nach kurzem Überlegen stimmten die anderen Helden und die Suguri zu. Allerdings erwies es sich als schwierig, die verängstigten Dörfler zu kontrollieren. Akira tat sich schwer, die richtigen Worte zu finden. Mit Haos Hilfe konnten aber die am meisten gefährdeten Personen – Kleinkinder, Schwangere und Verwandte der getöteten Familie – in einer gemeinsamen Unterkunft untergebracht und Panikreaktionen der Bauern verhindert werden.

Akira beschloss, in den verbleibenden Taglichtstunden Tarasu aufsuchen, einen außerhalb des Dorfes lebenden „Weisen Mann“, der einen etwas zwiespältigen Ruf hatte.
Der „Weise“ wirkte sich in der Tat recht merkwürdig und verbarg sein Gesicht hinter einer langnasigen Maske. Akira vermutete, dass es sich bei Tarasu möglicherweise um eines der rätselhaften Tengu-Rabenwesen handelte. Dennoch gab Tarasu dem jungen Adligen einige wertvolle Informationen zu den Stärken und Schwächen der Gamji sowie zwei Schriftrollen, die die Helden vor der schreckenserregenden Wirkung des Geistes schützen sollten. Auf dem Rückweg machte Akira einen Abstecher zu der Zollfeste und rekrutierte Natsumi als Unterstützung für die Nachtwache. Takur blieb im Zollturm, um dort alles im Auge zu behalten. Der Jaguarkrieger hatte kein Verlangen, sich mit einem Geisterwesen anzulegen.

Hao hatte inzwischen mit den verängstigten Dörflern zu tun, die begreiflicherweise die nahende Nacht fürchteten. Verkompliziert wurde die Situation dadurch, dass bei Hanako verfrühte Wehen einsetzten. Gemeinsam mit der örtlichen Hebamme konnte Hao aber auch diese Krise meistern.
Allerdings verkomplizierte dies die Situation, würden doch Mutter und Neugeborenes für die Gamji ein besonders verlockendes Ziel sein. Andererseits verbot es sich aus Standesgründen, adlige und bäuerliche „Ziele“ der Gamji in einem Gebäude unterzubringen. Die Helden beschlossen, sich auf dem Wachturm des Gutshofs zu postieren. So würden sie in der Nähe Hanakos bleiben, konnten aber gleichzeitig das Dorf im Auge behalten und (hoffentlich) schnell zu Hilfe eilen, egal wo die Gamji zuschlagen mochte.
Die Helden richteten sich auf eine lange Nachtwache ein. Das nächtliche Dorf bot einen ungewöhnlichen Anblick: manche Hütten waren hell erleuchtet, um die Gamji so vielleicht abzuschrecken. Andere Bauern hatten alle Lichter gelöscht, in der Hoffnung, der Geist möge sie nicht beachten und sich ein anderes Opfer suchen.

Ob es die scharfen Sinne der Helden oder pures Glück war: fast gleichzeitig bemerkten Hao und Akira eine durchscheinende Gestalt, welche sich dem Dorf lautlos vom Friedhof näherte. Zuerst hielt die schweigend dahingleitende Gestalt auf das Anwesen des Dorfvorstehers zu, schwenkte dann aber in Richtung der Bauernkaten um. Wieder konnten die Helden die verwehten Fetzen des Wiegenliedes hören, welches Akira vor einigen Nächten aufgeschreckt hatte. So leise wie möglich verließen die Helden den Wachturm und nahmen die Verfolgung auf.
Allerdings missglückte die Überraschung – plötzlich tauchte die maskierte Gestalt vor ihnen auf. Sie schien jedoch überrascht, auf eine ganze Gruppe zu stoßen und so konnte Akira den Kampf eröffnen. Sein ebenso wuchtiger wie präziser Hieb traf die Maske des Wesens und spaltete diese in zwei Teile. Darunter schimmerte ein fahles, grauenerregend verzerrtes Gesicht: teilweise kindhaft, teilweise der verstorbenen Suguri Yumiko ähnelnd. Trotz des furchteinflößenden Anblicks setzten die Helden ihren Angriff fort: ein Pfeil Nezumis traf das Wesen und es wandte sich zur Flucht in Richtung Friedhof. Die Helden setzten nach. Nur wenige Schritte von dem Grabmal Yumikos entfernt, traf Akiras Klinge den Geist erneut. Nur das zerfetzte Gewand und die gesprungene Maske blieben zurück.
Erleichtert, aber noch ein wenig unsicher informierten die Helden die Verwalterfamilie. Allerdings behielten sie für sich, dass es sich bei der Gamji offenbar tatsächlich um Hasames verstorbene Ehefrau gehandelt hatte. Der Dorfvorsteher ahnte allerdings offenbar ohnehin die Wahrheit, denn am nächsten Morgen verkündete er, sein Amt niederlegen zu wollen. Vorläufig übernahm seine Schwester Hanako und deren Mann die Verwaltung des Dorfes. Eine mögliche längerfristige Lösung tat sich auf, als die Helden erfuhren, warum Nezumi trotz ihrer einfachen Herkunft eine so vertrauensvolle Rolle spielte: die junge Albin war die Bastardtochter eines hochrangigen Mitglieds des Suguri-Klans, die in das Dorf „abgeschoben“ worden war, um in gesicherten Verhältnissen aber fern der höheren Gesellschaft aufzuwachsen. Besonders Akira setzte sich dafür ein, dass Nezumi das Amt der Dorfverwalterin übernehmen sollte.
Ein aktuelleres Problem waren die Ambitionen des Klans Gankoda, dessen Streifschar wenige Tage später erneut in dem Dorf auftauchten. Allerdings konnten die Suguri und die Helden überzeugend demonstrieren, dass sie die Situation unter Kontrolle hatten und so zogen die Gankodas ab – vorerst. Wenige Tage später war es dann für die Helden Zeit, gen Atasato aufzubrechen. Mit einer ansehnlichen Belohnung – und vor allem Empfehlungsschreiben für die „Seidene Stadt“ – machten sich die Helden auf den Weg.   

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Abenteuer und Kampagnen / Re: Selenische Kneipenspiele
« am: 28 Jun 2025, 20:10:49 »
Zwei ein wenig rauere Spiele, beliebt bei Söldnern und Piraten:

Büffel
Zwei Kontrahenten nehmen voreinander mit gesenktem Kopf Aufstellung und rammen mit voller Geschwindigkeit ihre Köpfe gegeneinander (Waffenloser Angriff, ggf. mit Meisterschaft Vorstürmen).
Danach kippt jeder einen Humpen Bier oder ein Glas Schnaps hinunter und die nächste Runde beginnt. Gewonnen hat, wer nicht als erster aufgrund von Alkohol oder Betäubungsschaden ausfällt.

Kuckuck
Zwei Kontrahenten (üblicherweise schon ordentlich betrunken) erhalten jeweils die gleiche Anzahl Wurfgeschosse und gehen in eine dunkle Kammer (d. h. in dem Raum herrscht Finsternis).
Dann schreit der vorher mit einem Münzwurf bestimmte Kontrahent laut "Kuckuck" und springt schnell zur Seite, während sein Gegner auf das Geräusch wirft (Warnehmungs-Probe gegen 25, jeder EG verringert den Zielaufschlag durch die Finsternis um 1).
Denn muss der Werfer "Kuckuck" schreien.
Das Spiel geht solange weiter, bis einer getroffen wurde oder beide sich verschossen haben. In dem Fall gibt es manchmal eine zweite Runde, meist endet das Ganze aber in einem regellosen Besäufnis.



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Ankündigungen / Re: Splittermond Abenteuerwettbewerb 2025
« am: 13 Jun 2025, 20:28:17 »
Ja, da könnte ich auch ein Kandidat für werden. ;D
Ich versuche mich zwar an zwei Abenteuern, aber das Schreiben (und vor allem im Rahmen der gesetzten Zeichenzahl bleiben) hat so seine Herausforderungen.
Wie sagte doch Mark Twain: "Hätte ich mehr Zeit gehabt, wäre es ein kürzerer Brief geworden..." ;D
Na ja, es sind ja noch anderthalb Monate. EINES werde ich hoffentlich mindestens fertig kriegen...

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Ankündigungen / Re: Splittermond Abenteuerwettbewerb 2025
« am: 31 Mai 2025, 20:05:54 »
Nur für den FALL, dass die Zeichenzahl eines Abenteuers etwas über oder unter der erlaubten Zielzahl liegt - kann man den Entwurf trotzdem einreichen? ::)
Ich frag nur zur Sicherheit... ;)

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Allgemeines / Re: Eulencon 2025
« am: 25 Mai 2025, 10:17:10 »
Vielen Dank für die Klarstellung! Dann habe ich mir wohl zu viel Hoffnungen gemacht. :-[ ;)
Ich hoffe mal, es sind die Schwertalben. Ich finde die Idee eines die anderen Sterblichen dominierenden Albenvolks als eine angenehme Abwechslung nach den in den mir bekannten Fantasy-Systemen sehr viel häufiger auftretenden segregiert lebenden bzw. "schwindenden" Alben/Elben/Elfen. Und ich mag natürlich das anscheinend auf der Edo- und Sengoku Jidai-Ära basierende Setting Kintais. ;)

Und auch wenn es keine weiteren "Spezies"-Band geben wird, hoffe ich dennoch darauf, dass irgendwann auch mal die Ma'ua/Jaguarkrieger näher thematisiert werden - vielleicht in einem Band mit den Dämmeralben, da diese beiden Dschungelvölker sich ja anscheinend ziemlich häufig an die Kehle gehen. Man wird ja noch träumen dürfen... ;D

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Allgemeines / Re: Eulencon 2025
« am: 25 Mai 2025, 08:53:17 »
Da auch der "Albenband" erwähnt wurde - gibt es eigentlich schon irgendeine Information, was dieser Band alles enthalten soll?
Im vermute mal, auf jeden Fall die Sommeralben und die Dämmeralben. Aber was ist mit den Seealben der Kristallsee? Und vor allem, soll auch Kintai - also die Schwertalben - dabei sein? Ich fände es toll, wenn diese etwas "untypischen" Albenvölker dabei wären - vor allem Kintai, da so eine ziemlich große "Lücke" in Takasadu geschlossen werden könnte.

Andererseits wäre es natürlich ziemlich ambitioniert, alle vier Kulturen in einen Band zu zu kriegen. Das wären...ca. 50-70 Seiten pro Kultur?
 

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Die Armee der Exilanten
Atasato und Umgebung, nördliches Kintai (Ren und Luo)

Prinzessin Hui Amuis Aufenthalt in Atasato war nicht zu ihrer völligen Zufriedenheit verlaufen. Sie wurde ehrenvoll behandelt und war im Fürstenpalast zu Gast, aber Suguri Goro war nur dem Namen nach Herrscher der Stadt. Manche meinten, der Mensch sei nur deshalb von einem Seitenzweig des Suguri-Clans adoptiert worden, um an der Stelle eines ihrer „richtigen“ Mitglieder als machtloser Regent zu agieren. Einige Handelsherren des die Stadt de facto dominierenden Rings aus Jade und Eisen hatten sich zu einem Treffen bereitgefunden, doch andere der nicht-so-heimlichen Herrscher Atasatos blieben auf Abstand.
Selbst die zhoujiangische Exilgemeinschaft – etwa 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung – verhielt sich uneinheitlich. Ohnehin war die Gemeinde alles andere als geschlossen. Einige Familien lebten seit Generationen südlich des Jadebandes, waren zum Teil recht wohlhabend und nicht selten mit Verträgen oder gar Ehen mit den Handelsherren der Kintarai verbunden. Die meisten übrigen Zhoujiangi waren im Lauf der letzten Jahre vor Krisen, Not, Unruhen und Verfolgung nach Kintai geflohen und hatten nur wenige ihrer Habe mitnehmen können. Die meisten der Neuzugänge stellten Porzellan und Textilgüter in den Manufakturen Atasatos her, oder arbeiteten als Werftarbeiter, Schauerleute oder im Vergnügungsviertel.
Die Triaden hatten schon seit langem in Atasato Fuß gefasst und standen in einem komplexen Wechselspiel aus Kooperation und Konkurrenz mit dem Ring. Zudem gab es Organisationen unter den Exilanten, die zur Abwehr der Unterweltbünde gegründet worden, im Laufe der Zeit diesen aber immer ähnlicher geworden waren. Und es gab jene Flüchtlinge, die sich den Ringherren (oder -herrinnen) oder den örtlichen zunftartigen Koben verschworen hatten. Zwei wesentliche Strukturen der zhoujiangischen Gesellschaft fehlten in Atasato: die Priester der Großen Tiergeister und die traditionellen Kampfschulen. Offenbar wollten die Kintarai nicht, dass zu viele Unterschichtler sich zu Wehrverbänden zusammenschlossen. Und in religiöser Hinsicht galt natürlich das Primat Myurikos.
Erschwerend für die Sache von Prinzessin Amui kam hinzu, dass viele Exil-Zhoujiangi sich fragten, was Kintai im Gegenzug für etwaige Unterstützung verlangen würden: Man munkelte über Gebietsabtretungen, ein Eheversprechen von Prinzessin Yi, die Stellung von Geiseln…

Ren unterstützte die Prinzessin bei ihren diplomatischen Bemühungen. Deshalb bezog die Prinzessin sie und Luo auch mit ein, als sie begann, mit Billigung der Suguri unter den Exilanten Kämpfer zu rekrutieren. Anfangs mangelte es an Offizieren, Geld, Waffen und Rekruten. Die Kaiserliche Armee Kintais würde das Vorhaben nicht behindern, aber auch nicht fördern. Und falls die Prinzessin gegenüber Kintai zu weitgehende Zugeständnisse machen sollte, würde ihr dies von den verfeindeten Bürgerkriegsparteien als „Ausverkauf“ Zhoujiangs ausgelegt werden.

Trotz der wenig verheißungsvollen Ausgangslage konnte die Prinzessin mit Rens Unterstützung einige Mitglieder der Exilgemeinde zum Spenden ermutigen. Luo war besonders bei der Anwerbung von Freiwilligen nützlich. Es gelang, über 100 Rekruten zu gewinnen. Das Kommando über die Truppe würde Han Mari übernehmen, eine Bekannte der Helden. Die im Exil lebende Angehörige einer zhoujiangischen Adelsfamilie war gut in Kintai integriert. Sie hatte zudem schon früher Soldaten kommandiert und besaß bei den Suguri etwas Einfluss. Ihr zur Seite stand Ilko Barenfried von Wuselbach, der selenische Schwertrichter. Luo fragte sich, was dessen Ziele waren. Während der Palitaner Winterspiele hatte der Selenier Han Mari Avancen gemacht, aber Luo bezweifelte, dass er deshalb nach Atasato gekommen war. Hatte Selenia eigene Interessen im zhoujiangischen Bürgerkrieg?
Natürlich stieß das Vorhaben nicht nur auf Zustimmung. Die Triaden und die Handelsherren Atasatos profitierten von der relativen Schwäche der Flüchtlinge. Sie sahen es nicht gerne, wenn diese sich organsierten und im Kampf geschult wurden. Und dann war da natürlich noch die Frage, wofür die Truppe eingesetzt werden würde...
Die Ausbildung lief nicht ohne Tücken an, da Ilko sich aus kultureller Unkenntnis einige Missgriffe leistete. Unterstützt von Han Mari und den Abenteurern konnte er dies jedoch allmählich ausgleichen. Luo behielt die Rekruten im Auge, um vielversprechende Kandidaten zu erkennen und faule Äpfel frühzeitig aussortieren zu können. Die Rekrutierung und Ausbildung wurde dadurch behindert, dass Gerüchte die Runde machten, der „Reiher-Jun“ (so Amuis Name für die neue Einheit) sollte als Schwertfutter und Handlanger der Kintarai enden. Luo verfolgte die Gerüchte bis zu ihrem Ursprung, einem angesehenen Händler und Vertreter der Lotosmesser-Triade. Jian Wen war ein Verwandter des Admirals der Triadenflotte. Mit Hilfe seines Kontaktnetzwerkes konnte Luo die Gerüchte partiell kontern. Die Prinzessin versuchte währenddessen, weitere nützliche Kontakte zu knüpfen. Sie traf sich mehrmals mit der Kintarai-Generalin Ranku Kane, allerdings blieben die beiden auf Distanz, da Amui den Motiven der Generalin nicht unbedingt traute.

Dass die Miliz Aufmerksamkeit erregte, zeigte sich auch daran, dass Klan Gankoda – eine einflussreiche Daimyo-Familie, deren Machtbereich südlich Atasatos lag – Interesse an der Formation bekundete. Der Erbe des gegenwärtigen Lords, den die Abenteurer flüchtig in Palitan kennengelernt hatten, weilte momentan in der Stadt und lud die Prinzessin zu einem Treffen und einer Vorführung der Truppen ein. Ren sollte der Prinzessin einmal mehr mit ihrem Verhandlungsgeschick den Rücken stärken, während Luo die Soldaten begleitete. Die Prinzessin traute den Gankoda nicht, beschaffte aber dennoch mit Hilfe der Abenteurer ein angemessenes Gastgeschenk. Ein Stück außerhalb der Stadt erwartete Genma Gankoda mit einer Handvoll Leibwächter – darunter der Krieger Rokaku Jun, mit dem die Abenteurer schon mehr als einmal aneinander geraten waren – die Prinzessin. Eigenmächtig hatte sich auch Ranku Kane als Vertreterin der kaiserlichen Armee zu dem Treffen „eingeladen“. Die Milizionäre lieferten ein beeindruckendes Schauspiel. Es gelang indes nicht, die Gankoda als Verbündete zu gewinnen. Die Ranku hingegen würden zumindest unter der Hand helfen, wie die Generalin die Prinzessin im Vertrauen wissen ließ. Es blieb abzuwarten, was sie als Gegenleistung erwartete…

Weniger positiv war, dass einige Rekruten im Vergnügungsviertel in Probleme gerieten. Als Luo das entsprechende Spiellokal aufsuchte, erkannte er schnell, dass sowohl die Türsteher als auch Teile des Personals zur 13 Blätter-Triade gehörten. Anscheinend hatten die Rekruten um Geld gespielt und hoch verloren. Als es ans Bezahlen ging, war eine Prügelei ausgebrochen. Bei dem Versuch die horrende Forderung von 100 Lunaren herunterzuhandeln, scheiterte Luo an dem Besitzer des Vernügungshauses, einem dicklichen Alben namens Maeda Nagato, der kurzerhand noch einmal 10 Prozent aufschlug. Eine gewaltsame Lösung des Problems stand nicht zur Debatte und so blieb nichts anders übrig, als das Geld zusammenzukratzen. Han Mari, Ritter Wuselbach und die recht abgebrannten Abenteurer konnten (zusammen mit den Familien der Rekruten) die Summe unmöglich rechtzeitig zusammenbringen. Damit blieb es an den Abenteurern, die Prinzessin um Hilfe zu bitten. Die Gefangenen wurden ausgelöst, aber das Ansehen und auch die Rücklagen der Abenteurer hatten gelitten. Luo und Ren plädierten dafür, die Rekruten nicht zu streng zu bestrafen, doch kamen diese um eine öffentliche Prügelstrafe nicht herum. Gerne hätte Luo sich an Nagato gerächt, aber das hätte vermutlich mehr Schaden als Nutzen gebracht.

Ungeachtet solcher Komplikationen machte die Ausbildung der Truppe Fortschritte und die Zeit für ihre erste Bewährung war gekommen. Prinzessin Amui schien allerdings untypisch unschlüssig, als sie eröffnete, dass die Suguri mit einem Angebot an sie herangetreten waren: Viele der städtischen Truppen seien mehr oder weniger fest in der Hand der Kaufleute des Rings oder zumindest bestechlich und redselig. Dies führte dazu, dass Schmuggel über das Jadeband ein konstantes Problem war. Eine Truppe ohne feste Bindungen an die inoffiziellen Stadtherren würde vielleicht etwas unternehmen können, woran die lokalen Truppen scheitern würden. Die Suguri versprachen detaillierte Informationen über ein baldiges Schmugglertreffen – und die Beute sollte Amuis Soldaten gehören. Natürlich ging die Prinzessin ein beträchtliches Risiko ein. Dies würde die am Schmuggel beteiligten Handelsherren verärgern. Der Offiziersrat war sich uneinig. Ilko plädierte für ein entschlossenes Vorgehen, Mari und die Prinzessin waren unsicher, Luo riet zu Vorsicht. Es war auch das entschlossene Argumentieren Rens, das den Ausschlag gab, der „Bitte“ der Suguri nachzukommen. Die Magierin hatte für Schmuggler und Kriminelle nur Verachtung übrig. Und auch wenn die Suguri in Atasato wenig zu sagen hatten, so hatten sie im Kaiserreich insgesamt doch weit mehr Einfluss als die Handelsherren Atasatos. Sie für sich zu gewinnen war das Risiko wert.

In vier Tagen sollte flussabwärts am Rand der Sümpfe ein größerer Schmuggeltransport nachts über den Fluss kommen. Die Helden stellten rasch eine 50köpfige Einsatztruppe zusammen. Han Mari würde das Kommando übernehmen, Ilko jedoch mit dem Rest der Truppe zurückbleiben. Aus Tarngründen würde auch Amui in Atasato bleiben.
Der Ausmarsch verlief möglichst unauffällig unter dem Vorwand eines Übungsmarsches. Mit etwas Hilfe von Luo konnte Han Mari die Truppe beisammen halten. Ohne Probleme erreichte man den angeblichen Ort des Schmugglertreffens. Etwa 1.000 Schritte entfernt schlug die Schar ein getarntes Lager auf.
Luo verschaffte sich einen gründlichen Überblick über den Treffpunkt der Schmuggler. Die Soldaten wurden in Fünfergruppen organisiert, und Han Mari und Luo bereiteten sie auf den Nachteinsatz vor: Glänzendes Metall und die Gesichter und Hände wurden geschwärzt, überflüssige Ausrüstung abgelegt. Späher beobachteten den Übergabeort um Bescheid zu geben, wenn die Verbrecher sich zeigten.

Es begann bereits zu dunkeln, als sich eine von einem guten Dutzend hartgesottener Bewaffneter begleitete Kolonne von Karren näherte. Die Schmuggler machten einen entspannten Eindruck und hielten nur nachlässig Wache.
Es war Luo, der in der Dunkelheit das Leuchtsignal am anderen Ufer des Jadebandes entdeckte, das von den Schmugglern sogleich beantwortet wurde. Er benachrichtigte die übrige Truppe. Dank der guten Vorbereitung (und einer Portion Glück) gelang es, die Kämpfer unbemerkt in Position zu bringen.
Die Schmuggler hatten inzwischen die Karren abgeladen und Feuer entzündet. Die Wachleute sicherten die Landestelle, an der die Rümpfe von drei flachgehenden Booten über den Strand schabten. In diesen befand sich gut anderthalb Dutzend Bewaffneter. Etliche von ihnen waren tätowiert – offenkundig Angehörige der 13 Blätter. Dann kam ihre „Ware“ in Sicht: junge Männer und vor allem Frauen mit gebundenen Händen, die eingeschüchtert und desorientiert an Land wankten. In diesem Moment gab Han Mari den Befehl zum Angriff.

Der Kampf war verbissen. Auch wenn die Kriminellen überrascht worden waren, stellten sie sich entschlossen zum Kampf. Han Mari tat ihr Bestes, die Soldaten effektiv zu führen. Auch die Abenteurer leisteten ihren Beitrag, und während Luo seine Klinge mit tödlicher Genauigkeit führte und mehr als einen Gegner zu Boden streckte, schleuderte Ren Flammenlanzen. Der Kampf wogte hin und her. Am Ende gab auch die überlegene Zahl der „Reiher-Soldaten“ den Ausschlag. Nachdem Luo den albischen Anführer der Sklavenhändler in einem Zweikampf niedergestreckt hatte, brach auch die Ordnung der letzten Kämpfenden zusammen. Einige flohen das Ufer entlang, andere suchten die Boote zu erreichen. Han Mari entglitt etwas die Kontrolle, so dass die meisten Gegner entwischen konnten. Dennoch war das Schmuggelgut einschließlich der Karren, die Gefangenen der 13 Blätter und auch zwei ihrer Boote in die Hand des Reiher-Jun gefallen.

Der Kampf hatte drei Tote unter den Soldaten des Reiher-Jun gekostet. Drei weitere Kämpfer hatten lebensbedrohliche Verwundungen erlitten. Ren gelang es, alle drei zu stabilisieren. Erst danach schaute sie nach den Gegnern, zunächst nach dem Kommandeur der Sklavenhändler, den sie gerade noch stabilisieren konnte. Ein halbes Dutzend der Kriminellen war in Gefangenschaft geraten und zehn erschlagen worden. Die Beute beinhaltete etliche Ballen Seide sowie Jade- und lackierte Holzschnitzereien. Dazu kamen die befreiten Sklaven: etwa 30 Jugendliche und junge Erwachsene, zwei Drittel davon Frauen und Mädchen. Wie Ren erfahren konnte, waren einige ehemalige Schuldsklaven, andere einfach entführt worden. Die meisten stammten aus der Spinnenprovinz, oder waren dort auf der Flucht vor dem Krieg gestrandet. Es war zweifelhaft, wie viele von ihnen würden heimkehren können.
Han Mari lobte die Soldaten und ordnete an, die toten Feinde zu enthaupten. Die eigenen Toten und die Verwundeten wurden auf die Karren geladen. Die gefangengenommenen feindlichen Kämpfer würden gefesselt hinterherlaufen. Die beiden erbeuteten Boote wurden zerstört.

Han Mari und Ren versuchten, den feindlichen Kommandeur zu befragen, doch abgesehen von Obszönitäten und Drohungen gab der Alb nicht viel von sich. Am zweiten Tag des Rückmarsches  stieß der Zug auf einen Trupp von ca. 20 Bewaffneten. Geführt von einem Schwertalben, führten sie das Suguri-Banner. Der Kommandeur, Kido Kuruda, trat recht konfrontativ auf. Auch als man ihm die Papiere präsentierte, blieb er argwöhnisch. Seine Informationen besagten, dass Banditen friedliche Händler überfallen hatten, und das Gegenargument, dass Menschenhandel auf beiden Seiten des Jadebands untersagt sei und etliche der Gefangenen Angehörige der 13 Blätter waren, schien ihn nicht zu überzeugen. So gelang es Ren nur mit viel Mühe, ihn abzuwimmeln. Vielleicht spielte es auch eine Rolle, dass die Truppe gut doppelt so stark war wie Kurudas Ashigaru… Ren und Han Maria argwöhnten, dass der Offizier Kontakte zu den Schmugglern hatte.

Der Einzug in Atasato erregte Aufmerksamkeit, und rasch wurde (entgegen der früheren Zusagen) ein Großteil der Beute beschlagnahmt. Der Rest reichte aber noch für ein nettes Handgeld für die an der Aktion Beteiligten.
Glücklicherweise galt die Beschlagnahme der Beute nicht für die Sklaven, die der Fürst von Atasato für frei erklärte. Die wenigsten der Gefangenen wollten nach Hause zurück – bestand doch die Gefahr, gleich wieder in derselben Lage zu landen. Prinzessin Amui konnte mit Rens Unterstützung Hilfe in der zhoujiangischen Exilgemeinde organisieren, doch nicht wenige der Befreiten würden vermutlich als schlecht bezahlte Arbeiter in den Manufakturen, im Hafen oder gar in der Prostitution enden. Einige heuerten beim Reiher-Jun an. Die Operation hatte besonders in der Exilgemeinde einigen Eindruck gemacht.
Es wurde allerdings schnell klar, dass die ganze Affäre eine politische Note bekommen hatte. Teile des Rings stritten mit dem Fürsten. Die Schmuggler und Sklavenhändler wurden zwar von den Behörden übernommen, doch unterschied sich ihr Schicksal deutlich. Die vier Kintarai kamen schnell wieder frei. Den aus Zhoujiang stammenden Kriminellen erging es schlechter: einer wurde zu öffentlicher Auspeitschung und anschließender Zwangsarbeit verurteilt, und drei wegen Menschenraub und Piraterie öffentlich hingerichtet.

Mit ihrer diplomatischen Mission hatte die Prinzessin weniger Glück gehabt. Die Zusagen der Kintarai schienen wenig belastbar und die verlangten Gegenleistungen drohten sehr hoch zu werden. Sie überlegte zudem, was sie mit der aufgestellten Einheit anfangen sollte. Sie in die kaiserlichen Provinzen zu verlegen würde schwierig sein. Sollte man Guerillakrieg über die Grenze zu führen? Das wäre nur möglich, wenn Kintai es gestattete. An eine abgestimmte Offensive mit den Hauptstreitkräften von Kronprinzessin Yi war auf längere Zeit jedenfalls nicht zu denken. Den Jun als Nukleus einer kaiserlichen „Südarmee“ weiter ausbauen, würde viel Geld erfordern.
Vielleicht sollte man die Soldaten lieber als Figuren im Spiel der Fürstinnen benutzen? Immerhin galten Liu Luli in der Kranich- und Zo Zo in der Spinnenprovinz als junge Frauen mit großen Ambitionen, aber auch nicht weniger großen Problemen – und die neutrale Flußdelphin-Provinz fürchtete, zwischen den Fronten zerrieben zu werden. Die Lage am Maishi-See blieb kritisch mit den verstärkten Angriffen von Wus Kaperern, den Aktivitäten der 13 Blätter, die zunehmend die Triaden-Flotte dominierten und der verstärkten Präsenz kungaitanische Söldner. Vielleicht ließ sich dort etwas bewirken…
Ren plädierte für diese Variante, um die Bestrebungen der Kaiserlichen am Maishi-See zu stützen.

Gerüchte aus dem Westen sorgten für zusätzliche Unruhe. Man munkelte, General Wu würde weiter Söldner aus dem In- und Ausland anheuern und erneut seine diplomatischen Fühler nach der Untotenstadt Esmoda ausstrecken. Andere meinten, die barbarischen Jogdaren würden eine Offensive vorbereiten, vielleicht diesmal gegen die neutrale Fangschreckenprovinz. In der von General Wu kontrollierten Büffelprovinz hatten sie sich kürzlich blutige Köpfe geholt und die im Norden gelegene und Prinzessin Yi gegenüber loyale Phönixprovinz war kein verlockendes Ziel. Die Dinge waren in Bewegung gekommen, und Ren und Luo ahnten, dass auf sie weitere Herausforderungen warteten, falls sie weiter in der Politik mitmischen wollten.

14
Die Roten Turbane
Atasato, Kintai (Hao, Ren und Luo)

Die Geschichte des roten Oni sorgte auch in den Folgewochen für Gesprächsstoff, zumal Benkei in der Stadt blieb. Luo, Takur und Akira trainierte hin und wieder mit ihm. Benkei war indes nicht der einzige Neuzugang in der Handelsmetropole, der Aufmerksamkeit erregte: die Anwesenheit von Prinzessin Hui Amui war nicht lange ein Geheimnis geblieben. Die verschiedenen Kintarai-Fraktionen waren sich anscheinend uneins, wie sie sich gegenüber Amui und bezüglich der Situation in Zhoujiang generell verhalten sollten. Gerüchtehalber gab es Gruppen, die für eine grundlegende Neuorientierung der Politik der Kintarai eintraten, dem aber andere Daimyos und Vertreter der fünf großen Clans entgegenstanden. Gerüchte, dass ein hochrangiges Mitglied der Unbesiegbaren Kaiserlichen Armee auf dem Weg in den Norden war, heizten die Spekulationen zusätzlich an. Dazu kam, dass in Atasato Vorbereitungen für die alle paar Jahre stattfindende Tributprozession der nördlichen Provinzen liefen, die legendäre „Seidene Stadt“, die von Atasato zur Hauptstadt Senrai ziehen würde. Wiewohl der Aufbruch noch einige Monate in der Zukunft lag, fanden sich bereits erste potentielle Teilnehmer aus Kintai, Zhoujiang und sogar Selenia ein, wurden Tributgeschenke vorbereitet und köchelten Rivalitäten. Dies beschäftigte besonders Akira, der sich natürlich für die Belange Klan Rankus interessierte, dem seine Familie zugeschworen war. Zudem nutzte er die Gelegenheit, Atasato zu erkunden und besuchte Orte wie den Tempel, wo die Gebeine der legendären 55 herrenlosen Klingen beigesetzt waren, die in der Stadt vor vielen Jahren ihren Herren gerächt hatten und dabei ehrenvoll gefallen waren oder ihren Bruch der kaiserlichen Gesetze mit Selbstmord gesühnt hatten.
Hao, Ren und Luo hatten vor allem Umgang mit der zahlenmäßig starken zhoujiangischen Gemeinde in der Stadt – die eher die Unterschicht ausmachte: Hafenarbeiter, Manufakturarbeiterinnen und billige Beschäftigte in den Amüsierbetrieben der Stadt.

Luo war in Sorge, dass Amuis öffentlich bekannte Gegenwart erneut Verfolger auf sie aufmerksam machen würde. Er hielt die Augen nach dem Nekromanten Kong auf, der den Helden bei der Anreise Schwierigkeiten gemacht hatte. Zumindest diese Sorge erwies sich als unnötig, denn kurz darauf erreichte die Abenteurer ein Paket mit einem Brief, einem zerbrochenen Magierstab und einem zerflederten Buch. Der Jadedrachen teilte mit, dass Kong kein Problem mehr sei. Trotzdem warnte er noch einmal, dass sich die Prinzessin sich mit Mächten einließe, die unberechenbar und unkontrollierbar waren. Amui nahm die Warnung nicht übermäßig gnädig auf. Hao gelang es mittels ihrer Magie den Stab – der aus Geisterholz bestand und zudem den Geist des Trägers stärkte  – zu reparieren. Sie überließ ihn Ren. Die Magierin konnte einen fähigen Handwerker finden, der einen Teil des Artefakts in ein Rollsiegel umarbeitete.
Haos Magie half auch, das beschädigte Buch auszubessern. Gemeinsam mit Ren kontne sie das Kauderwelsch aus Textfragmenten sowie alchemischen und astronomischen Symbolen entziffern. Es handelte sich um ein Tagebuch Kongs. Kong erwähnte mehrfach seinen „Meister“, ohne ihn jedoch zu identifizieren. Er hatte vor dessen Fähigkeiten offenbar Respekt, weit weniger vor dem Varg Tang, der ihm in Palitan als Handlanger gedient hatte. Kong bezeichnete sein Rituale zur Aufstachelung der Geister im Sumpf der 32.000 Lichter als eine „Probe“. Außerdem hatte  er in Palitan vergeblich den Friedhof der „gefallenen Invasoren“ gesucht. Vermutlich bezog sich dies auf die fast 500 Jahre zurückliegende, Besetzung Palitans durch die Kintarai. Kong hatte es als Zumutung empfunden, die falschen Jadedrachen zu befehligen, da er von der „Obsession“ seines Meisters betreffs des Jadedrachens nicht viel hielt. Die Jagd nach der Prinzessin hatte ihn mehr interessiert. Dabei ging es ihm weniger um Amui – von der er abfällig schrieb, er sei sich nicht sicher ob er seinem Meister oder General Wu (dem eine Affäre mit Amui nachgesagt wurde) ein „Spielzeug“ beschaffen sollte. Wichtiger waren für Kong die Siegel im Besitz der Prinzessin – wobei er das kaiserliche Siegel als zweitrangig betrachtete. Das zweite Artefakt interessierte ihn weit mehr, wobei er spekuliert hatte, ob sein Meister es für sich selbst oder für „jemand anderen“ wollte, und das es die Machtverhältnisse grundlegend ändern könnte.

Angesichts dieser Neuigkeit weihte Ren Hao darüber ein, dass sie während des Einbruchs in den kaiserlichen Palast in Palitan bemerkt hatte, hatte wie die Prinzessin heimlich etwas mitgenommen hatte. Hao hatte Bedenken, in der Sache nachzuhaken. Sie wollte ungern noch tiefer in die Politik hineingezogen werden. Dies war indes im Fall der ambitionierten Ren anders. Letztlich informierten die beiden Amui über den Inhalt des Tagebuches. Ren gelang es, die zunächst zurückhaltende Prinzessin davon zu überzeugen, ihnen mehr zu erzählen. Neben dem kaiserlichen Siegel – welches sie für die Verhandlungen mit den Triaden, den Kintarai und der designierten Fürstin Zo Zo benötigte – hatte Amui tatsächlich noch einen zweiten Gegenstand im Frühlingspalast gesucht. Dabei handelte es sich um das „Blutsiegel von Yu Yushi“. Es diente angeblich dazu, Pakte mit mächtigen jenseitigen Wesen zu schließen. Die Kaiserlichen hatten erfahren, dass jemand sich für das Siegel interessiere und wollten es in Sicherheit wissen. Wer das Siegel für sich begehrte, wusste auch Amui nicht – vielleicht der Geisterdrache? Sie machte sich Sorgen, dass die Aura des Siegels Verfolger anziehen könnte und hatte es deshalb inzwischen abgeschirmt. Ren und Hao versicherten Verschwiegenheit. Die Prinzessin erhielt zudem eine Abschrift des entschlüsselten Tagebuches.

Der gut vernetzte Luo hörte in den folgenden Tagen beunruhigende Geschichten aus Zhoujiang. So sollten die barbarischen Jogdaren in der Fangschreckenprovinz Überfälle durchgeführt haben, nachdem Wu sie in der Büffelprovinz zurückgeschlagen hatte. Manche behaupteten, die Kaiserlichen würden die Wilden mit Waffen versorgen. Der Usurpator heuerte zudem zusätzliche Truppen an. Er hatte wenig Erfolg in Kintai gehabt, weil etliche Daimyos die Anwerbungen verboten hatten. Dafür strömten Männer und Frauen aus Dalmarien, Jagodien und Farukan über die am Ufer des Riesengrabs gelegene Hafenstadt Taka ins Land. Zudem versuchte Wu angeblich, südlich der Mauerstraße Siedler aus dem Ausland wie aus dem Inland – darunter auch Kleinkriminelle, Missliebige und Arme –anzusiedeln. Vage Gerüchte sprachen von Kämpfen in der Prinzessin Yi gegenüber loyalen Phönix- und Tigerprovinz.

Luo hatte sich zugleich in der Stadt nach der Kobe umgehört, der die Abenteurer einige Monate zuvor in Palitan bei der Suche nach dem gestohlenen Mondstahl geholfen hatten. Es war nicht schwer, ihren Bekannten Ayanokoji zu finden. Die „Kobe des blauen Stahl“ (Busuruchiro) fertigte vor allem hochwertige Waffen. Die Abenteurer wurden freundlich begrüßt. Die Arbeit an dem Artefakt, für das der Mondstahl bestimmt gewesen war, war noch längst nicht abgeschlossen. Noch war man bei der Fertigstellung der Rohlinge, die dann vielfach gefältelt und geschmiedet werden würden, um am Ende eine Klinge von bemerkenswerter Qualität zu ergeben. Man hatte die Fertigung für den Fall weiterer Sabotageversuche in eine besonders sichere Schmiede nahe der Residenz des Fürsten von Atasato verlegt, doch die Sicherheitsmaßnahmen verzögerten den Fertigungsprozess.
Auch die anderen Schmieden Atasatos waren geschäftig. Kintai sorgte sich offenbar wegen der zunehmenden Piratenüberfälle auf dem Jadeband und hatte in Atasato mehrere mittelgroße Schiffe (Sekibunen) und ein schweres Kriegsschiff (eine Atakabune) in Auftrag gegeben, mit der Option auf weitere Baulose in der Zukunft.

Ayanokojis Kobe war allerdings in diese Rüstungsproduktion kaum eingebunden und bereit, den Abenteurern einen Preisnachlass für Arbeiten zu gewähren. Luo hatte von einem seltenen Ritual namens „Segnung des Relikts“ gehört, mit dem man hochwertige magische Gegenstände aufwerten konnte. Allerdings warnte er Ayanokoji vor der düsteren Vergangenheit seiner Waffe. Der Schmied bat die Abenteurer, Thaumarium zu beschaffen. Gegenwärtig war dieses magische Metall, das über das Palitaner Feentor nach Takasadu kam, in Atasato nur schwer zu haben. Letztlich fand Luo eine erfolgversprechende Spur: einen zwergischer Pfandleiher namens Wei Bu, mit Verbindungen zu der „Rote Karpfen“-Triade, der dem Vernehmen nach mit Diebesgut handelte (inklusive solchem, das noch gar nicht gestohlen war). Allerdings zog er angeblich bei Menschenhandel eine Grenze. Zusammen mit Hao suchte Luo die Pfandleihe im Hafenviertel auf. Es gelang den beiden, einen guten Preis auszuhandeln, auch weil Hao sich bereit erklärte, für einige der in Atasato lebenden Emigranten eine Unggoy-Andacht abzuhalten. Viele der Exilanten vermissten die religiöse Fürsorge aus der Heimat. Auch wenn in Kintai die Tiergeist-Anhänger nicht aktiv verfolgt wurden, gab es wenige Schreine oder Priester.
Die Zeremonie in einem halbleeren Lagerschuppen war mit 80 bis 100 Personen stark besucht. Haos Predigt, die den Gläubigen Mut und Zuversicht vermitteln sollte, kam gut an und brachte ihr Einladungen von mehreren Familien. Sie sollte Kinder segnen, eine Hochzeitszeremonie abzuhalten und ähnliches mehr.

Das erworbene Thaumarium ermöglichte es, Luos Klinge zu bearbeiten, wobei ihn der Schmied warnte, dass in der Waffe dunkle Magie schlummerte. Ayanokoji nahm an, dass dabei finstere Rituale und Blutopfer eine Rolle gespielt hatten. Es gäbe Möglichkeiten, die Waffe zu reinigen, doch würde sie dabei einen Teil ihrer Macht verlieren. Luo war sich unsicher, wie er verfahren sollte. Einerseits beunruhigte ihn das Vermächtnis der Klinge, andererseits war es ihre besondere Herkunft gewesen, die es etwa ermöglicht hatte, das mächtige Feenwesen Sho zurückzuschlagen…
Hao war in den folgenden Tagen mit religiösen Verpflichtungen eingebunden, bemerkte allerdings bei einem ihrer Gänge, dass sie beschattet wurde. Sie schaffte es, den Verfolger zu stellen: Es handelte sich dabei um niemand anderen als Xiao Houzi, den mysteriösen Unggoy-Priester, dem die Gruppe einige Monate zuvor begegnet war. Der Priester warnte seine Glaubensgenossin, dass sie und ihre Gefährten sich Feinde gemacht hatten (oder noch machen würden?), darunter auch solche, die nicht sterblich seien. Noch wären diese mit anderen Plänen befasst, doch müsse dies nicht auf Dauer so bleiben. Zudem befragte er die Priesterin nach ihren eigenen Plänen. Sei der Weg für sie das Ziel - oder entscheide das Ziel über den Weg? Hao war sich nicht sicher, ob sie ihn richtig verstand, meinte aber, dass sich irgendwann niederlassen und eine Familie gründen wollte. Mit einigen kryptischen Abschiedsworten entfernte sich der andere Affenpriester. Eine der Haarsträhnen Haos, die der Priester berührt hatte, färbte sich in den Folgetagen golden – ein Zeichen, dass Haos Gott sie im Auge behielt, eine Warnung oder ein gutes Omen?
Die Priesterin gab die Warnung an ihre Kameraden weiter, verbunden mit dem Ratschlag, die Gruppe solle sich künftig vielleicht nicht mehr Hals über Kopf in jedes Abenteuer stürzen.

Indes sollte den Abenteurern keine lange Ruhe beschienen sein, denn wenige Tage darauf wurde Luo in einer abgelegenen Gasse aus dem Hinterhalt von einer Gestalt angegriffen, die ihr Gesicht hinter einem roten Schal verborgen hielt. Der Angreifer führte seine Naginata mit einigem Geschick, und Luo konnte sich mit Mühe behaupten. Der Unbekannte, dessen Proportionen und Stimme sehr…fremdartig erschienen, forderte Luos Klinge – zweifellos dessen magisches Schwert. Als Luo ihm einen heftigen Hieb versetzte, verfiel der Fremde in Raserei und fluchte, das „vierarmige Scheusal“ werde Luo die Seele herausreißen. Ein tödlicher Klingenwirbel Luos kostete den Angreifer schließlich das Leben. Als Luo die Leiche durchsuchte, stellte er fest, dass die Gesichtszüge und die Katzenaugen des Fremden auf eine nicht sterbliche Herkunft hindeuteten. Bei sich hatte der Tote eine Schriftrolle aus einer Art Pergament, auf der Ren, Luo, dessen Klinge und (weniger gekonnt) auch Akira abgebildet waren. Luo nahm Waffe, Geld und Schriftstück an sich und suchte das Weite. Seine Kameraden verarzteten den Verwundeten, und konnten den Angreifer nach seiner Beschreibung als „Roten Turban“ identifizieren. Diese Feenwesen (in Dragorea als „Rotkappen“ bekannt) galten als grausam und gewalttätig. Sie färbten die Masken und Schals, die sie um den Kopf trugen, regelmäßig mit dem Blut ihrer Opfer und dienten mitunter mächtigeren Feenwesen als Söldner und Soldaten. Eingedenk der Worte des Toten vermuteten die Abenteurer, dass Sho hinter der Sache steckte. Das Feenwesen hatte vier Arme gehabt, und Luos Klinge hatte ihn bei dem Zusammentreffen nahe der Seidenstraße spürbar verletzt. Luo hatte bereits während des Feenmarktes anlässlich der Palitaner Winterspiele den Verdacht gehabt, verfolgt zu werden – doch es war beunruhigend, dass ihnen die Feenwesen über mehr als 100 Kilometer gefolgt waren.

Luo stellte umgehend Nachforschungen an und erfuhr, dass offenbar zwei bis drei Bewaffnete, auf die die Beschreibung seines Gegners passten, in den letzten Tagen verschiedene Tavernen und Gasthäuser abgeklappert hatten. Der Tote war also wohl Teil einer feeischen Kopfgeldjägertruppe. Der Fund der Leiche des Roten Turbans sorgte für einige Gerüchte, doch alles in allem nahm man die Sache in Atasato nicht so ernst.
Luo gelang es, sich wenige Tage darauf an die Fersen von zwei Roten Turbane zu heften, die nach den Abenteurern suchten. Er folgte ihnen durch die einbrechende Dunkelheit bis zu ihrem Versteck in einer Grube, in der Gerber und Fleischer ihre Abfälle entsorgten. Dann zog er sich zurück und benachrichtigte seine Kameradinnen.
Geführt von Luo näherten sich die Abenteurer dem Versteck der Roten Turbane. In dieser Gegend, geprägt durch den Gestank von Abfall und Verwesung, den nahen Seifensiedereien und Gerbereien, waren in der Dämmerung kaum Passanten unterwegs. In die Abfallgrube, in der die Feenwesen ihren Unterschlupf gefunden hatten, gab es nur einen schmalen Pfad. Es gelang Hao, Luo und Ren, sich unbemerkt zu nähern. Ein kleines Feuer und der Gestank von verbranntem Fett und Knochen wiesen ihnen den Weg. Sie bereiten sich auf den Angriff vor – doch sollte ihnen die erhoffte Überraschung nicht glücken. Mit einmal gellte ein schrilles Kreischen durch die Dämmerung und riss die beiden Roten Turbane hoch. Die Abenteurer griffen sofort an. Der Kampf war kurz, aber erbittert. Luo, der seinen Mitstreiterinnen vorausgeeilt war, konnte schwere Treffer austeilen, ging aber infolge eines Fehltritts zu Boden. Nur das Eingreifen Haos, die ihren Kampfstab mit großem Geschick führte, und seine Fähigkeiten als Splitterträger verhinderte das Schlimmste. Unterstützt durch die Zauber Rens gelang es, beide Roten Turbane tödlich zu treffen – den letzten spießte der am Boden liegende Luo förmlich auf.

Eine Untersuchung des Lagers ergab wenig Aufschlussreiches. Der Alarm war offenbar durch einen Strukturgeber ausgelöst worden: ein makabres Artefakt, aus dem Schädel eines Orks. Hao behielt diese Beute, die künftig noch einmal nützlich sein mochte. Luo versuchte die beiden Leichname im Abfall zu verbergen, um kein Aufsehen zu erregen.
Die Feenwesen waren mit leichtem Gepäck gereist. Es fand sich nur ein wenig Geld und die Waffen der Toten, dazu Fleisch zweifelhafter Herkunft. Ren hatte einen sehr unerfreulichen Verdacht, und nahm es lieber an sich. Tatsächlich stellte sich später heraus, dass die Roten Turbane es aus einem von ihnen ermordeten Kastenlosen geschnitten hatten, einem Abdecker namens Tao. Die Magierin sorgte für eine angemessene Beisetzung und gab der Familie die Hälfte ihres Beuteanteils. Sie fühlte sich mitverantwortlich, hatte doch die Jagd nach Luos Schwert und Shos Wunsch nach Rache die Roten Turbane nach Atasato geführt. Das Schwert Vipernzahn schien Unheil anzuziehen: Wie Luo von Ayanokoji erfuhr, hatte es bei der Arbeit an der Klinge einen Verletzten gegeben. Der Schmied war sich nicht sicher, ob das an der Unachtsamkeit seines Lehrlings oder an der Klinge lag.
 
Die Abenteurer hofften, fürs erste alle Verfolger los zu sein, obwohl Hao orakelte, das nächste Mal würde der Feind wohl gefährlichere Gegner entsenden.
Bald schon gab es aber andere Themen, die um Aufmerksamkeit heischten: Das angekündigte hochrangige Mitglied des Unbesiegbaren Kaiserlichen Heeres war in Atasato eingetroffen. Die Abenteurer kannten Generalin Ranku Kane, die „Protektorin der östlichen Grenzlande“ und „Schwert des Göttlichen Kranichs“, von einem früheren Abenteuer in Kintai. Luo hörte in den Schenken und auf den Märkten, dass sie möglicherweise hier sei, um sich mit dem Fürsten der Stadt zu treffen, aber auch mit Prinzessin Hui Amui und den de facto die Stadt regierenden Handelsherren. Vor allem schien sie auch damit beschäftigt, die hiesigen Streitkräfte und die Werften zu inspizieren. Einige meinten, ihre Ankunft sei ein Zeichen für eine aktivere Außenpolitik des Kaiserreiches und sie sei hier wegen Verhandlungen mit oder Forderungen an die Triaden. Und dann gab es jene, die unterstellten, sie sei nur deshalb in Atasato, weil die berühmte Palitaner Kurtisane Madame Jiao in der Stadt weilte. Luo wusste, dass Kane Frauen zugeneigt war – hatte er doch verhindert, dass sich eine Spionin in der Verkleidung einer Tänzerin bei der Generalin eingeschlichen hatte. Aber er ging davon aus, dass die Kriegsherrin nicht (nur) zum Vergnügen in den Norden gekommen war. Bei Hao löste die Ankunft der Generalin fast einen Fluchtreflex aus. Sie scheute politische Intrigen und argwöhnte, die Gegenwart von Prinzessin Amui und einer Kintarai-Generalin würde die Abenteurer wieder in den Treibsand der Politik hineinziehen. Hao ließ sich aber von Ren (die ihrerseits darauf aus war, sich Hals über Kopf in eventuelle Intrigen zu stürzen) überreden, noch eine Weile zu bleiben. Ren und Luo wollten die Prinzessin keinesfalls im Stich lassen. Zudem hofften sie, ihr vielleicht helfen zu können.

15
Die Legende vom roten und vom blauen Oni
Atasato und Umland, Kintai (Akira, Takur, Ren und Luo)

Nach der Ankunft in Atasato hielten Hao, Ren und Luo erst einmal Abstand zu Prinzessin Amui, nicht zuletzt um keine Aufmerksamkeit zu erwecken. Ihre beiden Kameraden Takur und Akira hatten mit einem Ablenkungsmanöver die Flucht ihrer Kameraden unterstützt und stießen etwas später zu den anderen. Die Abenteurer brachten sich gegenseitig auf den neusten Stand, wobei Hao, Ren und Luo einige Details wie die Identität des Jadedrachen für sich behielten.
Die Ankunft der Prinzessin in Atasato erregte Aufsehen, wurde allerdings durch andere Ereignisse überschattet: Es hieß, dass in der Umgebung der Handelsstadt ein Oni – ein riesiges Sagenwesen – sein Unwesen treiben sollte, das Reisende und Anwohner zum Kampf herausforderte. Dies und das Gerücht, das Untier würde Schätze behüten, hatte zahlreiche Abenteurer angelockt. Angeblich war die Ankunft Oni vor einigen Jahren prophezeit worden, weshalb das örtliche Fürstenhaus etwas zurückhaltend agierte. Gerade Akira war interessiert, mehr über das Untier zu erfahren. Der Kintarai sah darin eine Möglichkeit, sich auf heimatlicher Erde zu bewähren. Er hatte wenig Mühe, seine Mitstreiter zu motivieren.

Luo erfuhr in den Schenken und Märkten einiges über das Ungeheuer, auch wenn sich die Beschreibungen unterschieden. So variierten die Größe und das Verhalten des Oni, der mal eine rote, mal eine blaue Rüstung tragen sollte. Vor kurzem hatte er ein ganzes Dorf verwüstet: Er war aufgetaucht, hatte eine Herausforderung gebrüllt und die Dörfler beleidigt, und dann begonnen, den Ort zu verwüsten. Die Beschreibungen sprachen von einem „hausgroßen“ gepanzerten Riesen mit einer gewaltigen Kriegskeule. Zum Glück hatten die Einwohner des angegriffenen Dorfes den langsamen Schlägen des Oni ausweichen können und waren entkommen. Auf jedem Fall verlangte die Bevölkerung Taten. Suguri Goro, der Fürst Atasatos, sah sich zunehmend unter Druck. Ohnehin regierte er nur nominell die Stadt, in der in Wahrheit ein Zusammenschluss der reichen Händlerfamilien die Fäden zog. Was die Gerüchte über die angeblichen Schätze des Oni anging, so schien dies lediglich auf Hörensagen zu beruhen. Möglicherweise handelte es sich dabei um ein sich verselbstständigendes Gerücht – oder jemand hatte es in die Welt gesetzt, um schatzsuchende Abenteurer anzulocken, die dann hoffentlich das Untier beseitigen würden.

Akira und Ren suchten unterdessen den Myuriko-Priester Undo auf, der in der Angelegenheit Nachforschungen angestellt hatte. Laut diesem handelte es sich bei dem Ungeheuer wohl nicht um einen „echten“ Oni (ein Wesen der göttlichen Domäne), sondern ein Feenwesen. Undo vermutete zudem, dass der Oni irgendetwas mit dem Quirin zu tun hatte, das in den letzten Tagen gesichtet worden war. Die dem dragoreischen Einhorn ähnelnden Quirin mieden normalerweise Sterbliche. Eventuell wollte das Wesen vor der Bedrohung warnen, denn die pferdeähnlichen Kreaturen waren für ihre scharfen Sinne und ihre prophetische Begabung bekannt.
Da Akira aus der Kintarai-Oberschicht stammte, gelang es ihm, Erkundigungen beim Fürstenhof einzuziehen, auch wenn die Beamten eher zurückhaltend waren. Vor drei Jahren hatte ein Onmyōji geweissagt, dass ein blauer Oni erscheinen und die Gegend bedrohen würde. Erst ein „vorbestimmten Streiter“ würde die Bedrohung in ihre Schranken weisen, wobei dieser kein Untertan oder Diener des Fürsten sein werde. Man hatte die Weissagung verlacht und den Magier fortgewiesen. Die Onmyōji, Meister der Astrologie und Hüter der Beziehungen zu den jenseitigen Wesen, hatten in den letzten 450 Jahren erheblich an Ansehen und Einfluss verloren, weil sie ihre Macht nicht auf Myuriko bezogen. Nun wusste keiner, wie man den „auserwählten Streiter“ finden sollte. Der Fürstenhof hatte deshalb das Treiben der Schatzsucher in der Hoffnung geduldet, dass sich unter diesen Fremden zufällig der rechte Streiter finden würde. Hao nahm diesen Hinweis zum Anlass, um einer eigenen Spur nachzugehen: sie hatte im von einem alten Tempel außerhalb der Stadt erfahren, der noch aus vor-kintaraischen Zeiten stammte und hoffte, dort mehr erfahren zu können.
Die anderen Abenteurer beschlossen, nicht bis zu ihrer Rückkehr zu warten. Sie wollten nach dem Weissager suchen und mit dem Quirin in Kontakt treten. Da ihnen die magischen Möglichkeiten fehlten, sich mit dem Tier zu verständigen, hofften sie auf Akiras Fähigkeit, zu ausgewählten Anlässen Hilfe von Myuriko zu erflehen. Sicherheitshalber unterzogen sie sich mit Undos Unterstützung einem Reinigungsritual, da Ren befürchtete, ihre jüngsten Zusammenstöße mit Untoten und Geistern könnten das Quirin abschrecken.

Zuerst machten sie sich zu dem angeblichen Wohnsitz des Onmyōji auf, einem abgelegenen, verfallenden Herrenhaus. Eine große Anzahl Krähen hockte auf den Giebeln des Haupthauses und der Nebengebäude. Ren begrüßte die Vögel höflich und erklärte, dass die Gruppe eine Audienz bei dem Magier erbitte. Daraufhin schwang die Tür des Haupthauses auf und gewährte Zutritt zu einem spärlich beleuchteten Zimmer, das mit Reisstrohmatten ausgelegt war. Die Abenteurer streiften ihre Fußbekleidung ab und nahmen Platz, behielten aber ihre Waffen griffbereit. Eine Gestalt in guter Kleidung und mit einem hohen Hut – ein männlicher Mensch oder Alb mittleren Alters – hieß sie willkommen. Die Helden hatten halb erwartet, es mit einem geldgierigen Scharlatan zu tun zu bekommen, mussten diese Vermutung aber korrigieren. Der Onmyōji, der sich als Hajime vorstellte, verhielt sich erstaunlich kooperativ.
Der Hajime teilte die Sorge der Abenteurer über die aktuelle Situation, denn laut seinen Prognosen hätte der „vorbestimmte Streiter“ bereits erscheinen sollen.
Allerdings hatte Hajime bei seiner Weissagung dem Fürstenhof tatsächlich nicht die ganze Wahrheit erzählt: Dies lag daran, dass es im Umgang mit Feenwesen stets Gebote zu berücksichtigen galt, die man nur zu einem hohen Preis brechen könne. Gegenüber den auswärtigen Abenteurern konnte er freier sprechen – und war beeindruckt zu erfahren, wie viel Erfahrung sie bereits mit Feenwesen besaßen. Er warnte sie aber, dass sie zum Schweigen verpflichtet seien, und der vor ihnen liegende Weg gefahrvoll werden könnte.
Feenwesen – und um ein solches handelte es sich bei dem „Oni“ – waren nicht nur durch Pakte gebunden, sondern folgten oft einer bestimmten Rolle oder Geschichte, die sich meist nur unter extremen Bedingungen änderte. Menschen nahmen dabei oft nur eine Nebenrolle ein, doch wenn sie die nicht wie vorgesehen spielten, konnte das gravierende Folgen haben.
Der „Oni“ sei Teil einer solchen Geschichte:

Die Legende vom roten und blauen Oni:
Eins lebten zwei Oni-Brüder, die abseits der Sterblichen lebten. Der rote Oni wollte sich mit den Sterblichen anfreunden, was aber an seinem furchteinflößenden Aussehen scheiterte. Deshalb ersann sein Bruder den Plan, sich als scheinbare Bedrohung zu präsentieren. Der rote Oni würde den Sterblichen zu Hilfe kommen, den blauen Oni in einem Schaukampf vertreiben und so Ansehen und Dankbarkeit erringen. Sein Bruder aber würde die Gegend verlassen müssen.
Allerdings hatte sich die Geschichte in Atasato nicht wie geplant entwickelt: Die Sterblichen lehnten auch den roten Oni ab und flohen ihn. Das Quirin wollte eventuell die Sterblichen warnen, dass die Geschichte nicht so ablaufe wie geplant, hatte sich aber nicht verständlich  machen können.

Die Abenteurer berieten sich und kamen zu dem Entschluss, dem roten Oni zu helfen. Es war ihnen nicht gestattet dem Fürstenhof zu enthüllen, dass es sich um eine Geschichte handelte, die auf bestimmte Weise ablaufen müsse. Die Notwendigkeit zu lügen belastete besonders Akira. Ren schlug vor, die Hilfe des Quirin zu suchen. Würde das Wesen den roten Oni begleiten, dann würden die Kintarai dies als Beweis für seine Tugendhaftigkeit ansehen, da Quirins angeblich Falschheit untrüglich aufspüren konnten. Anhand der Geburtsdaten der Abenteurer konnte Hajime – von der neugierigen Ren beobachtet – ein Horoskop erstellen, um mögliche Treffpunkte mit dem roten Oni und dem Quirin einzugrenzen. Die Abenteurer versprachen, Hajimes Namen lobend beim Fürstenhof zu erwähnen, falls sie Erfolg haben sollten. Dann brachen sie eilends auf. Jeder Tag Verzögerung drohte das Wüten des blauen Oni zu verschlimmern. Sie verschafften sich starken Reisschnaps und -wein, um den roten Oni günstig zu stimmen, und dazu einige Opfergaben für das Quirin.

Die Reise verlief ohne Zwischenfälle und nach einigem Suchen stießen die Helden tatsächlich auf das Quirin. Während die anderen Abenteurer respektvoll zurückblieben, näherte sich Akira mit den Gaben und bat Myuriko in einem formellen Gebet, ihm bei der Verständigung mit dem Wesen zu helfen. Auch wenn kein direkter Austausch zustande kam, schien es, als ob das Wesen ihn verstünde. Das Quirin leitete die Gruppe zu einer Höhle. Vorsichtig betrat die Gruppe die Höhle und fand den bewusstlosen roten „Oni“. Er war eine überaus beeindruckende Erscheinung: mit gut vier Schritt einiges größer als ein „echter“ Oni, und bewaffnet mit einem schweren Kriegsschwert. Das Feenwesen war offenkundig verwundet, und reagierte nicht auf die Versuche der Abenteurer, ihn zu wecken. Ren stellte fest, dass das Wesen vergiftet worden war, und zwar mit einer speziellen Mixtur, die zur Bekämpfung von großen Monstern entwickelt worden war. Ohne Hilfe würde der „Oni“ unweigerlich zugrunde gehen. Indes überstieg die Vergiftung die Fähigkeiten der Abenteurer. So entschlossen sie sich, Luo zurück nach Atasato zu schicken. Dort sollte er dank seiner guten Straßenkenntnis unauffällig ein Gegengift zu beschaffen. Auf keinen Fall wollten die Helden beutegierige Schatzsucher auf sich aufmerksam machen. Die anderen Helden würden zurückbleiben und bereitstehen, falls irgendwelche „Monsterjäger“ die Höhle fanden. Rens Heilungsmagie vermochte den Vergifteten vorerst am Leben erhalten. Vorsorglich verwischte Takur alle Spuren im Umkreis der Höhle. Tatsächlich konnte er damit eine Gruppe Jäger in die Irre führen.
Luo war ebenfalls erfolgreich, auch wenn der Kauf des Heilmittels ein Loch in die Ersparnisse der Abenteurer riss, wobei Akira den größten Teil der Ausgaben übernahm. Das Gegengift stoppte das Fortschreiten der Vergiftung. Danach war es Ren mit Takurs Unterstützung möglich, den Vergifteten zu heilen. Danach blieb nur zu warten, bis er erwachte.

Als der rote „Oni“ die Augen aufschlug, war er überaus dankbar für seine Rettung. Er schien nicht zu wissen, dass er Teil einer Geschichte war (wohl aber, dass sein Kampf mit dem blauen „Oni“ nur gespielt sein sollte), und die Abenteurer wählten deshalb ihre Worte mit Bedacht. Seitdem der rote „Oni“ begonnen hatte, seine Hilfe anzubieten, war er dreimal von Sterblichen angegriffen worden. Beim dritten Mal war er vergiftet worden. Der „Oni“ war gerne bereit, dem Plan der Abenteurer eine Chance zu geben. Akira und Ren brachen in die Stadt auf. Sie informierten den Fürstenhof, dass sie den rechten Streiter mit Hilfe des Onmyōji Hajime, den sie lauthals lobten, gefunden hatten. Die Hintergründe behielten sie für sich. Suguri Goro ließ sich rasch überzeugen – ein Oni als Helfer war ihm allemal lieber als ein Angehöriger eines verfeindeten Clans. Er versprach, amtliche Zeugen mitzuschicken, die eventuelle Zwischenfälle vermeiden sollten. Im Falle des Sieges wollte der Fürst den „auserwählten Streiter“ angemessen würdigen. Auch der Priester Undo schloss sich an. Begleitet von einer wachsenden Menschenmenge machten sich Ren und Akira auf den Weg. Sie stießen zum Rest der Gruppe und dem roten „Oni“, denen sich das Quirin angeschlossen hatte. Dessen Gegenwart tat das Ihre, um die Sterblichen von unbedachten Taten abzuhalten. Es war klar, dass dem Tier die Menschenmenge unangenehm war, doch schritt es tapfer voran. Besonders Akira sah es als große Ehre, mit einem solchen Wesen ein Stück Weges zu ziehen und es gar berühren zu dürfen.

Bald schon traf die Gruppe auf den blauen „Oni“. Die beiden Streiter tauschten Herausforderungen und Verwünschungen, dann sprachen die Waffen. Die Keulenhiebe des deutlich größeren blauen „Oni“ verwüsteten den Wald, doch sein roter Gegner hielt stand. Auch wenn der Kampf nur gespielt war, war es ein beeindruckendes Schauspiel. Schließlich ergriff der blaue „Oni“ die Flucht. Wie geplant avancierte sein Bezwinger zum Helden. Auch die Abenteurer hatten sich Ansehen verdient. Wie ihnen Hajime mitteilte, bestand die Möglichkeit, den roten „Oni“ – der unter den Menschen den Namen Benkei erhalten hatte – für einige Zeit in den Dienst einer Sache oder Person zu binden. Ren und Akira waren sich uneins: Der Schwertalb hätte Benkei gerne als Verbündeten für den Klan Ranku gewonnen, Ren hingegen als Streiter für Prinzessin Yi. Beide wollten indes nicht streiten, und hatten auch Skrupel, den „Oni“ in die Belange der Sterblichen einzubinden. So erbaten sie sich nur die Möglichkeit, in einmal in der Stunde größter Not zu Hilfe rufen zu können, was ihnen Hajime mit Hilfe eines Papiertalismans auch ermöglichte.

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